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Deutscher Gleitschirm- und Drachenflugverband e.V.

DHV

Retter in der Kappe

Rettung auslösen?
-  passiert mir nicht, ich pass doch auf….

Donnerstag, der 29. April 2010, das Wetter verspricht heute noch gute Flugbedingungen, bevor es dann am Wochenende wieder viel schlechter werden soll. Ich bin mal wieder für ein paar Tage im Chiemgau und kann die Zeit nutzen. Windrichtung SW, eigentlich schlecht für die Nordalpen. Auf der Webseite der Flugschule Hochries sehe ich aber, dass der Startplatz von Nord angeströmt wird, muss also gehen. Vor Ort erfahre ich, dass die Bahn erst wieder Morgen läuft, also Empfehlung zur Kampenwand, dorthin sind schon andere unterwegs. Das erste Mal in diesem Fluggebiet mache ich mich kundig, wo der Landeplatz ist und ob schon andere geflogen sind. Der Startplatz direkt neben der Bergstation ist nur Clubmitgliedern vorbehalten. Unverständnis macht sich bei mir breit, denn hier sind die Startbedingungen ideal; ein 10-15er aus NW, also direkt von vorn. Widerwillig mache ich mich auf den 10minütigen Fußmarsch zum unteren Startplatz.

Hier herrschen bei weitem nicht so gute Windbedingungen. Diejenigen, die vor mir starten, können sich maximal ein wenig halten, mehr als ein verlängerter Gleitflug zum Landeplatz wird’s aber bei denen nicht. Na ja, dann wird’s heute mal wieder nichts. Für meinen Start muss ich dann auch eine Weile warten, bis der Wind einigermaßen passt. Mein Schirm lässt sich wirklich klasse starten. Die Entscheidung für den neuen Schirm im letzten Jahr war wohl doch die richtige. Mit der Flächenbelastung bin ich jetzt endlich wieder im guten Mittelfeld und nicht am absolut oberen Ende, wie mit meinem alten Schirm.

Nach dem Start erwische ich gleich einen guten Aufwind, der mir innerhalb weniger Minuten 400m Startüberhöhung beschert und mich deutlich über Gipfelhöhe bringt. Ein herrlicher Blick von hier oben über den Chiemsee und das ganze Chiemgau. Innerhalb der nächsten 45 Minuten wird es hier oben etwas voller und etwas ruppiger. Bei meinem Geländeerkundigungsflug geht’s einige Male runter und wieder hoch, was mir maximal 600m Startüberhöhung einbringt. In diesen 45 Minuten erlebe ich 2 großflächige Klapper, die sich nur mir unterstützenden Pumpbewegungen wieder öffnen lassen. Ich flieg doch einen 1-2er, müssten doch allein aufgehen, denke ich noch… Im Frühjahr fliege ich selten, turbulente Bedingungen habe ich in dieser Jahreszeit schon erwartet; mit meinem anderen Schirm aber noch niemals erlebt.

Plötzlich erwische ich (oder erwischt mich??) eine ‚Hammerthermik’. Mein Vario spielt verrückt, mindestens 8m steigen, es zeigt es gar nicht mehr richtig an. Bei meinem letzten Blick aufs Vario sehe ich noch 400m, aber es geht noch weiter, wie im Speed-Fahrstuhl. Dann Ruhe, ich kann mich wieder orientieren und versuche, ja was eigentlich… ich weiß es nicht mehr. Plötzlich habe ich das Gefühl von einer riesigen Faust gepackt zu werden. Die linke Schirmhälfte ist weg, komplett nach vorn in die Leinen ‚eingeschlagen’. Bevor ich das richtig registriere wird die rechte Seite auch ‚zerlegt’, von einem Schirm kann man da oben jetzt nicht mehr sprechen. Ich beginne sofort heftig zu twisten, die Stofffetzen und Leinen verdrehen sofort, ich werde unsanft durch die Luft gewirbelt.

Mir ist sofort bewusst, dass ich den Schirm nicht mehr aufbekomme, also Rettung werfen! Aber wo ist die? Neues Gurtzeug, wie muss man sie werfen? Ich finde den Griff dann doch sehr schnell und schleudere die Rettung raus. Warum ändert sich nichts? Ich falle noch genauso schnell und das Trudeln hat sich auch nicht verändert. Als ich nach oben sehe, erkenne ich, dass sich die Rettung noch komplett verpackt in den Leinen des Schirmes verfangen hat. Einen Moment denke ich „ok, das wars dann jetzt“; ein Zeitraffer läuft ab. Trotzdem zerre ich an den Leinen der Rettung. Die sind zum Glück so dick, dass man richtig zufassen kann. Das ganze scheint hoffnungslos zu sein, es tut sich nichts.

Richtig registriert habe ich dann nicht mehr, wie die Rettung freigekommen ist und sofort aufging. Ein tolles Gefühl sanft zur Erde zu schweben.

Gelandet bin ich dann stehend! In einer mini Waldlichtung auf einem kleinen Schneefeld. Die Rettung und Schirm neben mir.

Nach etwa 20 Minuten, ich hatte alles eingepackt und war auf dem Fußweg nach unten, sah ich gerade noch die Bergwacht, die offensichtlich nach mir suchte. Denen und auch der Polizei, die alarmiert wurde, konnte ich Entwarnung geben.

Im nach hinein habe ich viel gelernt, das mich und vielleicht auch den einen oder anderen Leser in Zukunft hoffentlich vor ähnlich unliebsamen Erlebnissen verschont.
1. Bei einer übergeordneten Windrichtung aus SW und thermischen Winden aus N müssen diese Luftmassen irgendwann aufeinander treffen. Diese Windscherungen sind unberechenbar! Damit hätte ich rechnen müssen. Insbesondere in der Nähe so extremer Aufwinde.
2. Bei massiven Klappern werde ich zukünftig schneller das Weite suchen. Ich werde das als Vorwarnung respektieren. Bin doch kein Acropilot!
3. Wie wirft man die Rettung richtig? Was habe ich falsch gemacht? Auf jeden Fall werde ich einen Kurs besuchen und noch mal ein Sicherheitstraining machen. Diesmal mit Rettungsauslösung, egal ob alles nass wird!

Mein besonderer Dank gilt der Rosenheimer Bergwacht, die in unglaublich kurzer Zeit da war. Ich hab sie zum Glück nicht gebraucht. Hätte aber auch anders ausgehen könne. Danke, Ihr macht einen guten Job!

HS

Fluggerät: Gradient Golden 2-28
Rettung: Independence Annular Evo 22
Gurtzeug: Woody Valley Peak 2 XL