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Deutscher Gleitschirm- und Drachenflugverband e.V.

DHV

Drachenfliegen in Italien - Ein Reisebericht

Drachenfliegen in Italien - Where hanggliders are Kings and Queens

Ein Reisebericht von Maximilian Schubert (November 2019)

Ist es ein Fakt, dass wir Stangenpiloten in der Masse der “Knochenfreien“ manchmal unterzugehen drohen? Wird unser schöner Sport zu Grabe getragen? Eine Spurensuche in Italien

“Jetzt mach dich auf den Weg Junge – Paolo und Georg warten nicht auf dich!“ auf Italienisch klingt dieser Satz so schön und Michele lässt das R in Ragazzo so sehr rollen, als würde ein alter Alfa Romeo durch die engen Gassen einer Italienische Kleinstadt (g)rollen, es wird Zeit aufzubrechen….

Eigentlich ist es immer das gleiche: Diese endlose, zum Himmel schreiende Hektik vor dem Urlaub, schnell noch die letzten Kundenaufträge bearbeiten, der Bulli braucht eine Inspektion, als wäre in den letzten 10 Monaten nicht genug Zeit dafür gewesen, der Abi Ball meines Sohnes – auch dass noch - ich kann nicht tanzen, ich muss die GoPro von Matthias abholen und zu guter Letzt darf ich auch noch privat umziehen. In einer Julinacht verlasse ich meine mit Umzugskisten verstopfte Wohnung, stolpere in den dunklen Container unseres Clubs, um meinen geliebten Guggenmos CUT beim “Drachenmikado“ zwischen einem Dutzend anderen Gleitern rauszuziehen und mache mich auf den Weg nach Süden. Das Reisen in einem 40 Jahre alten Bulli geht einher mit einer gewissen Behäbigkeit, ein schöner Gegensatz zu den hektischen Tagen zuvor. Wenn man mit 85 km/h unterwegs ist, in einer Kolonne mit unzähligen LKW, ist schon der Weg das Ziel; und so sinniere ich mitten in der sternklaren Nacht: Quo vadis - Wohin gehst du - Drachenfliegen?

Im Frühjahr diesen Jahres hatte ich mit Regina einige Mails geschrieben, es ging – natürlich – ums Drachenfliegen, aber auch um den schwierigen Stand der Drachenflieger, von denen sich der ein oder andere nicht nur im gemeinsamen thermischen Aufwind abgedrängt vorkommt. Wochen später erschien “Drachenfliegen quo vadis“  im DHV Magazin. In Italien scheint sich die Frage nicht ganz so drängend zu stellen. Warum eigentlich?

Der Frühjahrs- und auch Herbsturlaub ist bei mir häufig mit einer Fahrt nach Bassano verbunden, im Sommer jedoch umfahre ich Venezien mit voller Absicht, Wettersicherheit hat man jetzt in ganz Italien! Seit Jahren verbringe ich meine Urlaube in Bella Italia, in meinen Augen bietet kaum ein Land eine so schöne Mischung aus Kultur, Kulinarik und auch Fliegen. Das ganze gepaart mit der offenen Art der Italiener, ihrer wunderschönen Sprache und der Dolce Vita macht Italien für mich einfach immer wieder unwiderstehlich.

Ausgangspunkt meiner Reise ist diesmal Umbrien und die Provinzhauptstadt Perugia. Jedes Jahr im Juli reisen Musiker und Fans aus der ganzen Welt in die auf einen markanten Hügel gebaute Stadt auf das dortige Jazz Festival. Da ich weder Paolo Conte noch George Benson verpassen möchte, lasse ich Laveno am Lago Maggiore, geschoben von einem kräftigen Nordföhn, auf dem Weg nach Süden rechts liegen. In Perugia werde ich schon erwartet, (Gleitschirm)Fliegerkollege Michele – ein lebenslustiger Italiener, der eine Zirkusschule betreibt, hat für mich einen Stellplatz im Olivenhain von Antonio, eines weiteren Freundes, organisiert. Alles nur wenige Gehminuten vom Zentrum der Stadt entfernt. Eine Woche lang verbringe ich meine Abende und auch die ein oder andere Nacht zwischen uralten Mauern und lausche vor einer der zahllosen Bühnen den Musikern, oft gibt es auch spontane Konzerte vor Cafés und Restaurants, eine Sperrstunde scheint nicht zu existieren, genauso wenig wie die Angst vor dem nächsten Morgen – Dolce Vita! Meine Italienischen Freunde haben eine diebische Freude daran, mir römische Flüche zu beizubringen und schütteln sich immer wieder vor Lachen über mein “Li mortacci tua!“, vielleicht liegt das aber auch an den zahllosen Sprizze, dem Italienischen Nationalgetränk, das hier noch bezahlbar ist und in der Regel mit kleinen Leckereien aus der umbrischen Küche serviert wird. 

Tagsüber ruft der Monte Cucco. 45 Autominuten im Nordosten von Perugia bei Sigillo gelegen, erhebt sich der Cucco fast baumlos in einer Linie von Nord nach Süd, an der es sich hervorragend Soaren und Toplanden lässt. In Sigillo beschleicht mich ein wenig das Gefühl aus einer Zeitmaschine gestiegen zu sein, Drachenfliegen ist hier überall präsent: Poster und Plakate in Bars, Cafés aber auch Banner auf den Straßen zeugen von unzähligen Wettbewerben, viele der Einheimischen sind aktive Piloten, es gibt eine Flugschule, ständig begegnen mir Autos mit Gleitern auf dem Dach, ich komme mir um 30 Jahre zurückversetzt vor. Wenn es einen Himmel für Drachenflieger gibt, sinniere ich, ein Kaltgetränk genießend, auf einer Hollywoodschaukel am “Piazza dei Martiri“: hier ist man ganz nah dran.

Mein erster Tag am Cucco beginnt für mich mit einer Überraschung: Der Guggenmos CUT erweist sich als der Gleiter von meinem Fliegerkollegen Julian. Wenn man nachts in Hektik die Koffer packt und Mikado spielt…..der Anruf bei ihm folgt auf den Fuß. Ich erwische Julian unter der Dusche, der sich vor Lachen das Wasser vom Leib schüttelt und mir gute Flüge wünscht mit seinem REBULL – Danke Julian!

Im Sommerhalbjahr garantiert der Cucco kräftigen Wind, Gleitschirme sieht man meist nur morgens und abends, wenn die Luft ruhiger wird. Für uns Drachenflieger ist Thermikanschluss immer da und Streckenflugmöglichkeiten sind unzählig. Mit dem Drachen an die Adriaküste fliegen? Am Cucco (k)ein Traum! Ich begnüge mich mit einem Flug im - wie hier häufig - strammen Südwest-Wind, der diesmal um die Mittagszeit plötzlich einschläft und sogar dreht. Kein Problem, der Landeplatz im Norden Sigillos ist groß genug, um zur Not auch einen Airbus landen zu lassen. In unmittelbarer Nähe des Landeplatzes liegt das “Ostello del Volo“ und die Flugschule von Maurizio Tassinari, der hier noch die Fahne für das Drachenfliegen hoch hält. Mit Maurizio verbringe ich immer wieder viel Zeit am und um den Cucco. Er zeigt mir die fantastischen Höhlen, die den Berg durchziehen und auch das ein oder andere hervorragende Restaurant. Auf dem Weg zum nächsten Jazzabend in Perugia passiere ich bei Sant´Edigio die “Via del Deltaplano“ – wie schön!

In diesem Jahr ist es am Cucco nicht ganz so belebt wie sonst, sollte es daran liegen, dass die Weltmeisterschaften im Drachenfliegen in Tolmezzo stattfinden und es die Einheimischen Piloten alle in Italiens Nordosten gezogen hat? Ich weiß es nicht. Fakt ist: Der Cucco ist in dieser Woche in Schweizer Hand und Gleitschirme aufgrund der hohen Windgeschwindigkeiten nur selten zu sehen, so dass wir Drachenflieger uns in der Luft fast verlieren. Ab und an verfolge ich die WM und muss feststellen, vor dreißig Jahren hätte ein Großteil der Piloten um die Senioren WM gestritten. Was noch auffällt: Die Italiener stellen das größte Team, den Weltmeister, den Vizeweltmeister, haben drei Piloten unter den ersten 10 Plätzen. Ist das Zufall?

Auch Tre Pizzi, noch mehr im Osten ist ein Fluggebiet, das Drachenfliegerherzen höher schlagen lässt. Nur die Auffahrt auf den Berg stellt sich als Materialmordend heraus, der letzte Teil der Piste ist von tiefen Schlaglöchern und Spurrinnen gezeichnet, besser man nutzt den Service des dortigen Clubs und lässt sich mit dem Club-Bus an den Start bringen. Wenn der Wind um Nordost bläst, kann man an der Hangkante mit Greifvögeln um die Wette heizen und zwischendurch toplanden. Der Landeplatz ist teilweise von Stromleitungen und leichten Zäunen umgeben und will vor dem Flug inspiziert werden.

Nach einer Woche Jazz und Cucco verlasse ich Perugia und meine Freunde schweren Herzens und Fahre über Siena und Verona in Italiens Norden. Ziel ist der Lago de Iseo, dort habe ich mich mit Tullio Gervasoni und seiner bezaubernden Partnerin Corina verabredet. Tullio betreibt eine Flugschule am Iseosee, ist Tandem Pilot, Wills-Wing Händler und Kopf des Delta Club Sebino. Zwei Wochen ist er bei der Weltmeisterschaft mit hundert anderen Piloten um die Wette geflogen und scheint kein bisschen Flug-müde zu sein. Bereitwillig zeigt er mir mit Corina seine Heimat und die wichtigen Flugspots des Sees. Die beiden Hauptstartplätze am nördlichen Iseosee befinden sich oberhalb von Pisogne. Der Startplatz Grignaghe befindet sich oberhalb des gleichnamigen Dorfes direkt hinter dem Friedhof! Ich bin ein wenig verunsichert – ein Omen? Tullio erklärt mir: Friedhöfe werden in Italien immer mit Augenmerk auf gute Durchlüftung und trockenen Böden erstellt, also: Beste Thermik! Und wirklich, direkt nach dem Start auf der langen Rampe trägt es überall hervorragend, selbst  über dem See ist kaum Sinken und so gleite ich bis hinüber nach Lovere am Westufer, um schließlich am Landeplatz westlich von Pisogne einzulanden.  Der Landeplatz wird wohl auch von UL´s frequentiert und ist mit einem riesigen Windsack bestückt, außerdem ist eine Landepiste abgesteckt, so komme ich mir fast vor wie ein Jetpilot. 

Tullios Bruder, Massimo, betreibt in Sulzano, einen kleinen Ort am Ostufer des Iseosees einen kleinen, perfekt gelegenen, Campingplatz, auf dem ich mich mehrere Tage einquartiere, um die Gegend rund um den See und auch die Monte Isola zu erkunden. Letztere wurde 2016 berühmt als Christo hier für 16 Tage seine Installation “The Floating Piers“ verwirklichte und schwimmende Stege zur Insel installierte.

An meinem letzten Abend am Lago de Iseo, auf der Terrasse eines wunderschönen Restaurants mit spektakulären Blick über den See, frage ich Tullio wie es steht um das Drachenfliegen in Italien: Er ist hoffnungsvoll, hat 12 Anmeldungen für den nächsten Kurs, aber er betreibt eben auch nur eine von drei oder vier verbliebenen, reinen Drachenflugschulen in Italien. Drachenfliegen lernt sich nicht so schnell wie Paragleiten, es verlangt nach viel größeren Opfern, nicht nur von den angehenden Piloten, auch von deren sozialen Umgebung. Der Weg zum Deltaplanisti ist in Italien genauso weit, wie in Deutschland, darüber sind wir beide uns einig, aber auch, dass jeder Flug die ganzen Strapazen vergessen lässt, die blauen Flecken auf den Schultern vom schleppen unserer Geräte und  die manchmal hohen Kosten für unsere Ausrüstung. Was die Italienischen Kollegen darüber hinaus auszeichnet, ist außerdem ein unglaublicher Stolz auf unseren Sport – ja er verlangt uns viel ab, aber wir nehmen die Strapazen jedes Mal bereitwillig in Kauf, denn das Gefühl des freien Fliegens unter unsern Gleitern ist einmalig! Einig sind wir uns auch, dass die Gruppe der Drachenflieger überall durch ein unsichtbares, starkes Band zusammengehalten wird, eine Erfahrung, die ich in Italien immer wieder mache. 

So verlasse ich nach über einer Woche den Iseosee und besuche den winzigen Lago de Endine, wo man mir den Bus aufbricht (warum passiert mir das immer im Norden Italiens?). Ich fahre über Bergamo – was für eine fantastische Stadt - weiter an den Lago Maggiore zum Delta Club Icaro 2000, unweit von Laveno. Der Club, in dem man Ex Weltmeister Manfred Ruhmer regelmäßig trifft, hat zwei Startplätze parat: Sasso del Ferro und Monte Nudo. Während der Naturstart des Nudo nur über ein Shuttle Bus zu erreichen ist, kommt man auf den Sasso del Ferro mit einer pittoresken Seilbahn. Die Gondeln, welche aussehen, als hätte man alte Ölfässer an einer Schnur aufgezogen, befördern einen in gut 10 Minuten auf den Startberg. Dort angekommen erwartet uns Drachenpiloten eine Rampe der besonderen Art: Kaum größer als eine Tischtennisplatte und ohne erkennbare Neigung ragt sie über die steile, bewaldete Kante. Wie startet man da? Einfach geradeaus loslaufen, null Anstellwinkel und sich nicht wundern wenn nach dem letzten Schritt auf dem Tableau der Drachen kaum einen Meter durchsackt – Sachen gibt’s. Das mulmige Gefühl beim ersten Start weicht schnell heller Begeisterung ob der spektakulären Aussicht – rechts raus geht’s über den See, weit unter mir zieht die Fähren, die Laveno mit Verbania am Westufer des Lago die Maggiore verbindt, weiße Linien durch das grün-blaue Wasser, Wasserskifahrer hinter Riva Booten, am Ufer Autos, Motorräder und die Eisenbahn – was für eine Miniaturkulisse, ich bin begeistert. Die Landung am Club Icaro ist zeitweilig ein wenig tricky, es sind Stromleitungen zu beachten und aufgrund von mannigfaltigen Baumbewuchs und Bebauung, kann es zu Turbulenzen kommen – Überfahrt im Endanflug hilft. 

Mein Urlaub neigt sich dem Ende zu, drei Wochen sind viel zu schnell vergangen und ich steuere den Bulli gegen Norden. Auf dem Weg zum Gotthard mache ich noch einen Schlenker  ins Maggia Tal, eigentlich nur, um noch ein Bad im Gleichnamigen Fluss zu nehmen und entdecke mehrere Landewiesen, vielleicht ein Ziel für die nächste Fahrt?

Zurück in Deutschland, am nächsten Abend, gegen kurz vor acht: ich trage mein Gurtzeug das Treppenhaus hoch, komme ins Stolpern, falle die Treppe hinauf und mache Lärm, die Tür der Nachbarin geht auf, unfreundliche Blicke: “die Kinder schlafen“….Ich überlege ob ich ihr erzählen soll, dass da, wo ich gerade her komme, die “Bambini“ noch Nachts nach 10 auf der Piazza herumrennen und Fangen spielen. Nein sinnlos, denke ich mir, gehe in meine Wohnung, und wähle die Nummern meiner Fliegerkollegen: Wann gehen wir endlich wieder nach Italien zum fliegen?

Informationen:

Umbria Jazz – findet 10 Tage im Juli statt.  Es gilt als eines der wichtigsten europäischen Jazz-Festivals.

www.umbriajazz.it

Monte Cucco: Das engagierte und lustige Team der Flugschule um Maurizio Tassinari bietet Drachen- und Gleitschirmkurse, Paramoto Ausbildung, Tandemflüge (Drachen und Gleitschirm), sowie geführte Höhlenwanderungen in und durch den Monte Cucco.

www.umbriainvolo.it

Lago de Iseo: Tullio Gervasoni betreibt die Drachenflugschule des Delta Club Sebino, auch bietet er Tandemflüge mit dem Drachen über den See an. Tullio und seine Partnerin Corina sind perfekte Ratgeber fürs Fliegen, Essen und Trinken, Unternehmungen aller Art und kennen die beste Eisdiele der Welt.

www.deltaclubsebino.it

Parcheggio Gerolo ist ein gemütlicher Wohnmobilstellplatz in Sulzano, betrieben von Tullios Bruder Massimo. Hier kann man für € 20,- pro Nacht stehen, hat einen guten Service, inklusive Bergwasserquelle und läuft in wenigen Minuten in das Stadtzentrum von Sulzano am Ufer des Sees und am Anleger für die Fähre zur Monte Isola

www.gerolo.com

Laveno -Lago Maggiore:  der Club Icaro 2000 betreibt neben dem Landeplatz auch einen einfachen Campingplatz und eine Bar. Von hier wird auch der Shuttleservice auf den Monte Nudo (auch für Gleitschirmflieger) organisiert.

www.icaro2000.com/Club/Club.htm