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Deutscher Gleitschirm- und Drachenflugverband e.V.

DHV

Unfallstatistik 1996 Gleitschirm (siehe Sicherheitsjournal) Info 91

Die Unfallauswertung durch den DHV dient ausschließlich dem Ziel, Unfallprävention zu betreiben, und kommt damit der Flugsicherheit aller Piloten zugute. Je mehr Informationen über Unfälle vorliegen, desto repräsentativer sind die daraus zu entwickelnden Schlußfolgerungen. Die nachfolgenden Grafiken und Zahlen basieren auf der Unfallauswertung des Jahres 1996.

 

Jahreszeit und Uhrzeit

Besonders nach schönen Wochenenden im Frühjahr häufen sich Meldungen über Unfälle. Eine zweite Spitze im Unfallgeschehen tritt während der Urlaubswochen in den Monaten Juli / August auf.

Betrachtet man die Tageszeit, zu welcher sich die meisten Unfälle ereignen, so zeigt sich, daß dies der Zeitraum zwischen 13.00 und 15.00 Uhr ist, somit die in der Regel thermisch aktivste Zeit des Tages. Unsere Fluggeräte lassen sich in thermischen Bedingungen also offensichtlich schwieriger beherrschen.

 

Hauptunfallursachen

Zwei Hauptunfallursachen kristallisieren sich deutlich heraus: Zum einen sind dies Einklappungen, mit anschließendem Absturz, zum anderen Unfälle durch falsche Landeeinteilung, in einigen Fällen eine Kombination beider Faktoren.  Bei den Unfällen aufgrund von Einklappungen kann ein direkter Bezug zu den thermischen oder dynamischen Verhältnissen im Unfallzeitpunkt hergestellt werden. Eine genauere Untersuchung der einzelnen Unfälle hat ergeben, daß speziell Geräte mit den Geräteklassen 2-3 und 3 von dieser Unfallart stark betroffen sind. Typische Reaktion war das Abspiralen nach einem massiven Einklapper. Hierbei hielt sich das zu späte Reagieren der einzelnen Piloten mit dem Überreagieren und damit dem Hervorrufen eines Strömungsabrisses auf der noch offenen Seite in etwa die Waage. Zu berücksichtigen ist, daß Geräte dieser Klassen zum einen heftiger reagieren, was das Wegdrehen des Gerätes angeht, zum anderen aufgrund oftmals kurzer Steuerwege schwieriger gegenzuhalten und damit zu stabilisieren sind. Besonders bei niedrigen Flughöhen führen massive Einklappungen häufig zum Absturz. Da Hochleistungsgeräte, und hierzu sind auch die 2-3er Geräte zu zählen, im Klappverhalten deutlich anspruchsvoller sind als Intermediate-Geräte, gehören sie nicht in die Hände nur durchschnittlich erfahrener Gleitsegelpiloten. Die von den verunfallten Piloten angegebene Flugerfahrung, oftmals nur 1 - 2 Jahre, bestätigt dies. 

Ein zweiter großer Schwerpunkt findet sich im Bereich falscher oder nicht durchgeführter Landeeinteilungen und daraus resultierender Unfälle bei der Landung. Gaben viele Piloten eine mißglückte Landung als Unfallursache an, so stellte sich bei genauerer Durchsicht der Unfallberichte heraus, daß der entscheidende Fehler meist schon früher, nämlich bei der Landeeinteilung gemacht wurde. Eine Struktur bei der Einteilung des Landevorganges ist vor allem bei Gleitsegelfliegern häufig nicht zu beobachten. Bei vielen Piloten kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß hier nur das Prinzip Hoffnung regiert.

Sind die Verhältnisse am Landeplatz durch stärkeren Wind oder Thermik erschwert, führt dies, wie die eingegangenen Unfallschilderungen belegen, oft zu unüberwindlichen Schwierigkeiten. Bei keinem anderen Fluggerät kann sich der Pilot erlauben, eine Landung ohne eine saubere Landeeinteilung durchzuführen - nur im Bereich der Gleitschirme wird versucht, diese Regel außer Kraft zu setzen.

 

 

Geräteklassen

Die meisten Flugunfälle in der Saison 1996 ereigneten sich mit Gleitsegeln der Klasse 2. Eine Berechnung auf der Grundlage der vom DHV erteilten Gütesiegelplaketten ergibt, daß ca. 55 % der auf dem Markt befindlichen Geräte dieser Klasse zuzuordnen sind. Der Rest verteilt sich gleichmäßig auf die Klassen 1 und 1-2 (ca. 23 %) und 2-3 und 3 (ca. 22 %). Die Unfälle mit Geräten der Klasse 1 und 1-2 waren hauptsächlich auf Fehler beim Starten und Landen zurückzuführen. Deformierungen der Kappe traten nicht in Erscheinung. Bei Geräten der Klasse 2 war immerhin bei 30 % der Verunfallten eine Störung an der Kappe Ursache für den nachfolgenden Absturz. Bereits die Saison 1996 hat gezeigt, daß die neue Generation der Gleitsegel mit Kategorie 2 einen aktiven Flugstil des Piloten voraussetzt. Dies wird bestätigt durch die gewonnenen Erkenntnisse aus der nunmehr laufenden Flugsaison '97. Bedingt durch noch höhere Trimm- und Endgeschwindigkeit sowie in vielen Fällen durch nur mäßig anwachsende Steuerdrücke und sehr gutes Handling werden diese Geräte zunehmend dynamischer und verlangen einen umsichtigen Piloten. Reagiert der Pilot auf Störungen an der Kappe nicht rechtzeitig oder nicht richtig, so kann er sehr schnell in eine schwer zu behebende Fluglage geraten. Diesen Umstand bestätigen auch Erkenntnisse aus den Sicherheitstrainings in der Flugsaison 1997. Wer also von einem alten 2er-Gerät auf eines der neuen 2er-Generation umsteigt, sollte über entsprechendes Pilotenkönnen verfügen und sich mit dem Fluggerät, möglichst im Rahmen eines Sicherheitstrainings, intensiv vertraut machen.

Betrachtet man die Unfälle mit den Geräten der Klassen 2 - 3 und 3, so ist hierbei festzustellen, daß die Mehrzahl der Unfälle mit diesen Geräten auf Einklappungen, mithin Störungen an der Kappe, zurückzuführen ist. Gegenüber der Flugsaison 1995 hat die Zahl der Unfälle mit diesen Geräten um ca. 15 % zugenommen.

 

Wetter

Selbst wenn die Fluggeräte sicherer werden, so nützt dies nichts, wenn die Grenzen, bei denen unser Flugsport noch sicher betrieben werden kann, immer weiter hinausgeschoben werden. Verstehen versierte Wettkampfpiloten, ihr Fluggerät auch in 10-m-Bärten und bei auffrischendem Wind noch zu beherrschen, so trifft dies auf Freizeitpiloten nicht zu. Vor allem der berühmte «Lemmingeffekt» bringt jährlich etlichen Piloten Horrorerlebnisse in der Luft oder gar langanhaltende Krankenhausaufenthalte ein.

Besonders gefährlich ist der Flugsport für alle, die noch am Rande eines aufziehenden Gewitters oder bei bereits einsetzenden Föhnturbulenzen fliegen. Als im Frühjahr 1997 ein Pilot seinen Gewitterflug mit dem Leben bezahlen mußte, bewegte dies den ortsansässigen Fluglehrer zur Aussage: «Leider war es absehbar, er stand auf der Warteliste ganz oben.»

In der Flugsaison 1996 herrschten in der Mehrzahl der Fälle zum Unfallzeitpunkt thermische und turbulente Flugbedingungen. Diese Angaben stammen von den verunfallten Piloten selbst. Es kann davon ausgegangen werden, daß eine große Anzahl aufgrund meteorologischer Bedingungen hervorgerufener heikler Situationen nur mit viel Glück glimpflich abgegangen ist.

Betrachtet man die tödlich verlaufenden Gleitsegelunfälle der vergangenen Jahre einschließlich denen des Frühjahrs 1997, so kann eindeutig festgestellt werden, daß zum Zeitpunkt der Unfälle nahezu ausschließlich kritische Wetterbedingungen geherrscht haben.

 

Verletzungsarten

Zu untersuchen galt es weiterhin, welche Körperpartien bei Gleitsegelunfällen besonders gefährdet sind. Die Auswertung hat gezeigt, daß bei Gleitschirmfliegern vor allem der Rücken sowie die Beine/Füße in Mitleidenschaft gezogen werden. Brüche und Stauchungen im Bereich Lenden-, Brust- und Halswirbelsäule sind häufig. Dieser Umstand zeigt, wie wichtig es ist, den Einsatz von Protektoren zu propagieren und deren Entwicklung noch weiter voranzutreiben.

 

Flugerfahrung

Die Pilotenerfahrung konnte nur quantitativ anhand der von den verunfallten Piloten angegebenen Gesamtzahl ihrer Flüge bestimmt werden. Vom Flugschüler bis zum erfahrenen Flieger waren alle Pilotengruppen vertreten. Die Anzahl der absolvierten Flüge war nicht ausschlaggebend für die Verwirklichung bestimmter typischer Gefahren beim Gleitschirmfliegen. Lediglich die Gruppe der Piloten mit bis zu 250 Flügen hebt sich etwas ab, hier gilt es aber zu berücksichtigen, daß diese Gruppe, die Gesamtzahl der Flieger betrachtet, wohl auch den größten Teil darstellen dürfte. Bei Unfällen im Schulungsbereich waren zumeist direkte Start- und Landefehler die Ursache. Auffallend häufig war ein falsches Betätigen der Bremsen unmittelbar vor oder während der Landephase. Die Anzahl der gemeldeten Schulungsunfälle hat sich im Vergleich zur Saison 1995 um 10% reduziert.

 

 

Geschlechterverteilung

Betrachtet man das Verhältnis verunfallter Pilotinnen und Piloten, so deckt sich dieses weitestgehend mit der bei den DHV-Mitgliedern bestehenden Geschlechterverteilung. Sind im Verband ca. 10 % Pilotinnen gemeldet, so waren im Jahr 1996 13 % der verunfallten Frauen. Diese Zahl differiert in den einzelnen Unfalljahren um wenige Prozentpunkte, so daß im Grundsatz davon ausgegangen werden kann, daß das Risiko, bei einem Unfall verletzt zu werden, für Männer und Frauen etwa gleich hoch ist.

 

Rettungsgeräte

In der Flugsaison 1996 wurden insgesamt 10 Unfälle gemeldet, bei denen, zumeist aufgrund von Kollisionen, das Rettungsgerät betätigt wurde. Die schlimmsten hierbei aufgetretenen Verletzungen waren Knochenbrüche, in der überwiegenden Zahl kamen die Piloten mit dem Schrecken oder kleinen Blessuren davon. Aus der Flugsaison 1996 ist kein Fall bekannt, in dem trotz Auslösen des Rettungsgerätes eine sehr schwere oder gar tödliche Verletzung aufgetreten ist. Auch aus den Vorjahren ist entsprechendes nicht bekannt.

Die tatsächliche Anzahl der Rettungsgeräteöffnungen wird vermutlich noch deutlich höher sein, einige Fälle wurden nicht gemeldet, da weder Personen- noch Sachschaden eingetreten ist. Das Rettungsgerät hat damit auch in der vergangenen Flugsaison einigen Piloten das Leben gerettet oder sie zumindest vor schwersten Verletzungen bewahrt. Dieser Umstand zeigt, wie wichtig es ist, eine funktionierende Reserve bei sich zu haben und im Notfall auch zu aktivieren. Die Verpflichtung, ein Rettungsgerät mit sich führen zu müssen, hat sich daher schon 'zigfach als lebensrettend erwiesen. Dies setzt jedoch voraus, daß die Rettungsgeräte in ordnungsgemäßem Zustand sind und im Notfall auch tatsächlich genutzt werden.

 

Schlüsse aus der Statistik

Diese Aussagen beruhen ausschließlich auf den beim DHV aus dem In- und Ausland eingegangenen Unfallmeldungen deutscher Piloten. Die über mehrere Jahre vorgenommene Unfallauswertung legt folgende Schlüsse nahe:

1. Noch immer wird das Wetter von vielen Piloten in seiner Wichtigkeit für unseren Flugsport falsch eingeschätzt. Die Grenzen fliegbarer Bedingungen werden aufgrund leistungsstärkerer und vermeintlich sichererer Geräte neu definiert. Hierbei bleibt zu oft unberücksichtigt, daß auch das sicherste Gerät, der beste Protektor und der schnellste Rettungsschirm dann nicht mehr helfen können, wenn die uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten aufgrund meteorologischer Bedingungen (z. B. Gewitter, Föhn, starker Wind) überschritten werden.

2. Das Pilotenkönnen wächst nicht mit der Leistungssteigerung der Geräte. Viele Piloten sind ganz offensichtlich mit den von ihnen gewählten Schirmen überfordert. Geräte der Klassen 2-3 und 3 gehören nicht in die Hände von Freizeitfliegern, moderne Geräte der Klasse 2 nicht in die von frischgebackenen A-Schein-Piloten oder Wenigfliegern.

3. Leider ist das Image von Geräten der Klassen 1 und 1-2 noch nicht ihrer eigentlichen Bedeutung entsprechend. So werden die Piloten derartiger Geräte von manch «erfahrenen» Piloten noch immer belächelt. Völlig zu Unrecht. Die Mehrzahl der aus Spaß und ohne Leistungsdruck fliegenden Piloten können sich alle ihre fliegerischen Wünsche auch mit diesen Geräten erfüllen, und dies mit deutlich mehr Spaß und streßfrei.

4. Die Ausbildung darf nicht mit Ablegung der Prüfung beendet sein. Die vorliegenden Erkenntnisse legen die Erfordernis nahe, sich einer ständigen Weiter- und Fortbildung zu unterziehen, um hierdurch die eigene Sicherheit zu erhöhen. Auch guten Piloten und Vielfliegern kann es nicht schaden, sich im Rahmen von Sicherheits-, Strecken- oder Thermikseminaren weiter zu entwickeln und vielleicht die durch mehrjährige Flugpraxis eingeschliffenen Fehler auszumerzen.

5. Um ein Höchstmaß an Sicherheit zu gewährleisten, müssen auch Schirm und Ausrüstung einer dauernden Kontrolle unterzogen werden. Dazu gehört, daß Fluggerät und Rettungsgerät in gütesiegelkonformem Zustand sind und vor allem das Rettungsgerät regelmäßig gepackt wird. Der bisherige Verlauf der Saison 1997 hat deutlich vor Augen geführt, was bei sorglosem Umgang mit der Reserve passieren kann. So hätte zumindest in einem Fall der Pilot sein Leben retten können, wäre die Reserve in ordnungsgemäßem Zustand gewesen.

Die aktuelle Unfallentwicklung 1997 führt uns deutlich vor Augen, daß die Hoffnung, der Gleitschirmsport sei «sicherer» geworden, sich nicht bestätigt. Betrachtet man die Gefahren in unserem Sport, so kommt man wie bei vielen anderen Sportarten auch zu dem Schluß, daß dieser nur so sicher oder unsicher sein kann, wie diejenigen, die ihn ausüben. Aus diesem Grund ist der Auswahl des richtigen Fluggerätes eine so große Bedeutung beizumessen. Erwiesenermaßen verzeihen Schirme der verschiedenen Klassen die Fehler ihrer Piloten in unterschiedlichem Maße. So steht zwischenzeitlich fest, daß Gleitsegel der Klassen 1 und 1-2 in vielen Situationen auch dann noch beherrschbar reagieren, wenn Geräte mit höherer Einstufung schon einen erfahrenen und besonnenen Piloten verlangen. Es kann daher nur an alle Piloten appelliert werden, bei der Wahl ihres Fluggerätes das eigene Können richtig einzuschätzen und zu einem Gerät zu greifen, das sie nicht überfordert und sie den Spaß an unserem Sport in vollem Umfang genießen läßt.

 

Peter Rauchenecker, Referatsleiter Flugbetrieb