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Deutscher Gleitschirm- und Drachenflugverband e.V.

DHV

Wendegurtzeuge im Test

Wendegurtzeuge sind der absolute Renner. Aktuell liegt ihr Marktanteil bei etwa 50%, jeder zweite Gleitschirmpilot entscheidet sich für ein Gurtzeug dieses Typs. Aber wie alltagstauglich sind die Leichtgurtzeuge und wie schaut es mit der Sicherheit aus? Der DHV hat fünf der meistverkauften Typen genauer unter die Lupe genommen.
Für unsere Tests wählten wir solche Wendegurtzeuge, die über eine mit Normalgurtzeugen vergleichbare Ausstattung verfügten; mit integriertem Rettungsgerätecontainer und Sitzbrett.

Die Gurtzeuge im Test

Gruppenbild als Gurtzeug (von links): Airwave, Swing, Sup Air, Charly, Skyline...
..und als Packsack (von links): Sup Air, Charly, Skyline, Swing, Airwave

Alle Gurtzeuge im Test verfügen über einen 2-Kammer-Airbag. Der untere Teil des Airbags, mit den Lufteinlässen, ist vom Rückenteil durch einen Zwischenboden separiert. Darin befinden sich Belüftungsöffnungen, welche die Luft aus dem unteren Teil nach oben leiten.

Dämpfungsvermögen der Airbags
Wir haben die fabrikneuen Gurtzeuge zuerst einem Dämpfungstest nach LTF unterzogen. Dabei werden die Gurtzeuge auf der Protektor-Prüfanlage (eine baugleiche Anlage, wie die der Musterprüfstelle EAPR, bei welcher alle 5 Gurtzeuge geprüft worden waren) mit einem Luftstrom von 7 m/s angeblasen, um die Airbags zu befüllen. Anschließend erfolgt, nach einer Unterbrechung des Luftstroms für 5 Sekunden, die Fallprüfung, wobei die Verzögerung folgende Werte nicht überschreiten darf: 20 g bis zu einer Einwirkdauer von 25 Millisekunden, 38 g bis zu einer Einwirkdauer von 7 Millisekunden, 50 G als Maximalwert, der nicht überschritten werden darf. Alle drei Kriterien müssen erfüllt werden. Die Lufttüchtigkeitsforderungen sind bezüglich der Testkonfigurationen nicht eindeutig. Es bleibt offen, ob die Protektorprüfungen mit oder ohne in das Gurtzeug eingebautem Rettungsgerät erfolgen müssen. Um beide Szenarien abzudecken, haben wir die Gurtzeuge zunächst mit eingebautem Retter getestet und in einem zweiten Versuch mit ausgebautem Retter und offenem Außencontainer.

 

Testaufbau bei der Protektorprüfung

Überraschend war, dass zwei Gurtzeuge den Grenzwert beim Versuch mit offenem Container überschritten, das Sup Air Hybrid dabei deutlich (mehr als 60 G), auch bei einer Wiederholung der Tests. Das Charly Globe erreichte hier mit Werten unter 25 G das mit Abstand beste Testergebnis.

Ein erstes sehr interessantes Ergebnis dieser Tests: Das Worst-Case-Szenario für den Airbag ist der Aufprall ohne eingebautes Rettungsgerät mit offenem Retterfach. In der Praxis ist diese Situation bei einer Landung auf dem Protektor bei ausgelöstem Rettungsgerät gegeben. Der unter dem Sitzbrett platzierte Retter bedeutet einen erheblichen zusätzlichen Aufprall-Schutz. Die Gurtzeuge von Airwave und Sup Air unterschritten den LTF-Grenzwert von 50 G nur in dieser Konfiguration. Testsieger war auch hier das Charly Globe, mit einem Wert von knapp über 20 G.

Staudruck-Protektoren sind in ihrer Funktion von einem ständig vorhanden Luftstrom abhängig, der die Ventile befüllt. Es gibt aber Flugsituationen, wo die Anströmung aus einer ungünstigen Richtung kommt. Beispielsweise beim Abstieg am Retter oder in einer Sackflug-Situation. Hier erfolgt die Anströmung von schräg unten bzw. von unten. Je mehr der Lufteinlass des Airbags nach der normalen Anströmrichtung (Luftstrom kommt von vorne) ausgerichtet ist, desto schlechter das Dämpfungsvermögen bei Anströmung von unten.

Wir haben diesbezüglich Versuche gemacht, die jedoch, das sei ausdrücklich gesagt, nicht den Normvorgaben der LTF entsprechen. Eine Windmaschine (nicht der geleitete Luftstrom der üblichen Anblasvorrichtung für Protektortests) wurde senkrecht unter dem Gurtzeug aufgebaut. Auch hier betrug die Anblasgeschwindigkeit ca. 7m/s (+/-20%, die Windmaschine kann nicht so genau kalibriert werden, wie der geleitete Luftstrom). Nach üblicher Füllung des Airbags wurde 20 Sekunden von unten angeblasen. Es zeigte sich, was zu vermuten war; Nur wenn die Lufteinlassöffnung auch die Anströmrichtung "von unten" abdeckt, konnten Messwerte innerhalb der LTF-Vorgaben erreicht werden.

Anblasen von unten mit der Windmaschine (im Hintergrund die Vorrichtung für den geleiteten Luftstrom)

Protektoren-Praxistest

Aus den Versuchen an der Protektoranlage wissen wir, dass ein Airbag nur dann vernünftige Dämpfungswerte erreichen kann, wenn der ganze Luftsack annähernd prall gefüllt ist. Nicht befüllte Bereiche, große Dellen oder Falten führen fast immer zu einem „failed“ beim Test, also Verzögerungswerten von über 50 G. In diesen Fällen wird beim Aufprall die im Airbag befindliche Luft zunächst in die nicht befüllten Teil strömen, bzw. die Dellen und Falten ausgleichen. Erst dann beginnt das System die Fallenergie zu dämpfen. Meist schlägt der Dummy bis zur Bodenplatte der Protektoranlage durch, was Verzögerungswerten von 80 bis über 100 G entspricht.
Beim Praxistest haben wir unsere Augenmerk besonders darauf gelegt, wie viel Zeit der Airbag benötigt, um vollständig mit Luft gefüllt zu sein.
Mann war dass ernüchternd! Keines der getesteten Gurtzeuge hatte hier auch nur annähernd befriedigende Resultate.

Charly Globe

Beim Globe muss man sehr darauf achten, dass die Verstärkungsplatte des Airbags vor dem Anlegen des Gurtzeugs „in Form gebracht wird“. Dazu links und rechts an der Platte ziehen, bis sie nach außen gewölbt ist. Beachtet man dies, hat der untere Teil des Airbags nach dem Abheben schon einen sehr ordentlichen Füllstand, oben tut sich aber noch nichts (links). Bei nach innen gewölbter Verstärkungsplatte ist die Füllung des Airbags nach dem Abheben sehr viel schwächer (Mitte).
Die Befüllung des oberen Teils des Airbags dauert sehr lange. Unter 10 Sekunden nach dem Abheben war ein voll gefüllter Airbag bei diesem Gurtzeug nicht zu erreichen. Optisch erreichte der Airbag beim Praxistest in etwas die Form wie bei der Protektorprüfung, nicht ganz prall, mit einigen Falten. Die sehr guten Dämpfungswerte bei der Protektorprüfung dürften auch für die Praxis realistisch sein.

Video Download Charly Globe

Swing Connect Reverse

Schlapp beim Start, beim Abheben und in der Abflugphase. Nach Einnehmen der Sitzposition füllt sich der Airbag relativ schnell und ziemlich „faltenfrei“. Der Airbag des Swing-Gurtzeuges ist im Flug deutlich praller gefüllt, als bei der Protektorprüfung. Die Schutzwirkung dürfte in der Praxis sehr gut sein.

Video Download Swing Connect Reverse

Airwave GT-Light

Das leichteste Gurtzeug im Test ließ es bei der Befüllung des Airbags gemächlich angehen. Schwacher Füllstand in der Abhebephase (links), nach Einnehmen der Sitzposition füllt sich der Luftsack sehr zögerlich (Mitte). Den besten Füllstand zeigt den Airbag etwa 20 Sekunden nach dem Abheben, nicht ganz prall gefüllt, mit deutlichen Falten und Dellen (rechts). Diese Eigenschaft hatte der Airbag auch bei der Prüfung auf der Protektor-Testanlage gezeigt, sodass in der Praxis ein vergleichbares Dämpfungsverhalten auftreten dürfte.

Video Download Airwave GT-Light

Sup Air Hybrid

Das Sup Air-Gurtzeug denkt gar nicht an eine Befüllung des Airbags, solange sich der Pilot in aufrechter Abflughaltung befindet. Nach Einnehmen der Sitzposition erfolgt die Füllung dann aber sehr schnell, leider jedoch nicht vollständig. Große Dellen und Falten wollen auch nach längerer Flugzeit nicht schwinden. Die eher schwachen Dämpfungswerte bei der Protektorprüfung dürften bei diesem Verhalten in der Praxis eher noch schlechter sein.

Video Download Sup Air Hybrid

Skyline Piz

Ein schwaches Bild bot das Skyline-Gurtzeug. An dem beklagenswert luftleerem Zustand des Airbags in der Abhebephase (links) hatte sich auch 10 Sekunden später wenig geändert (Mitte). Auch mehr als 30 Sekunden nach dem Start hatte der Airbag seine vollständig gefüllte Form nicht angenommen (rechts). Ganz so schlapp war sein Füllstand bei der Protektor-Prüfung nicht, weshalb man in der Praxis von eher schlechteren Dämpfungswerten ausgehen muss.

Video Download Skyline Piz

Ergebnisse des Praxistests

Keines der geprüften Gurtzeuge konnte überzeugen. Von einem brauchbaren Rückenschutz in der Start- und Abflugphase waren die Resultate weit entfernt. Dabei ist ein wirksamer Rückenprotektor in der bodennahen Abflugphase besonders wichtig. Hier kommt es immer wieder zu Unfällen, durch Einklapper, Leinenknoten, Überbremsen des Schirmes, mit Sturz auf Gesäß/Rücken. Siehe diese Beispielvideos (Quelle: youtube):

Frontklapper

Ausgehebelt

Leinenknoten

Sackflug Winde

Fehlstart

Der Pilot kann jedoch ein paar Punkte beachten, die das Füllverhalten des Airbags verbessern.
· Ein „Aufschütteln“, besser noch ein „Aufschleudern“ bringt schon ein wenig Luft in den Airbag (die meist aber nicht sehr lange hält) und erleichtert die Befüllung im Startlauf
· Ein ordentlicher Startwind kann genutzt werden um den Airbag vorzufüllen
· Platten oder Versteifungen, die den Airbag in Form halten, sollten mit Vorsicht behandelt werden. Knicke oder Verformungen können das Füllen stark verzögern und/oder ein vollständiges Aufblasen des Airbags verhindern. Das Packen des Gleitschirms in das Wendegurtzeug sollte so erfolgen, dass Versteifungen nicht unnötig geknickt werden. Vor dem Start sollte man überprüfen, ob diese Versteifungen in ihrer richtigen Form sind (Betriebsanleitung lesen).
· Niemals mit angelegtem Gurtzeug auf den Airbag setzen. Gefahr des Knickens der Versteifungen. Zudem wird der Airbag dadurch vollständig entleert.

„Aufschleudern“ des Airbags hilft, die Befüllung im Startlauf zu verbessern.
Unbedingt vermeiden: Mit angelegtem Gurtzeug auf den Airbag setzen.

Die mechanischen Belastungen auf den Airbag sind sehr groß, wenn das Wendegurtzeug häufig als Packsack Verwendung findet. Ein- und Auspacken der Ausrüstung, Verschleiß, bzw. Beschädigungen beim Tragen des Rucksacks, etc. Dies kann zu einer Funktionseinschränkung des Airbags führen. Es empfiehlt sich daher, Wendegurtzeuge nur dann als Packsack zu verwenden, wenn dies erforderlich ist, z.B. beim Walk&Fly. Im Alltags-(Bergbahn)-Gebrauch besser einen zusätzlichen Packsack verwenden.

Der DHV wird die Erkenntnisse aus den Tests in die Revision der LTF-Prüfvorschriften für Gurtzeugprotektoren einbringen. Ein so schwacher Protektorschutz in der bodennahen Abflugphase, wie in den Tests festgestellt, muss deutlich verbessert werden, am sinnvollsten durch die Anforderung eines anströmungsunabhängigen Protektorschutzes. Zudem waren teils stark unterschiedliche Dämpfungswerte aufgefallen, abhängig davon, ob der Rettungsschirm unter dem Sitzbrett eingebaut war oder nicht. Die Protektorprüfung sollten sinnvoll in beiden Konfigurationen vorgeschrieben werden.

Was sonst noch aufgefallen ist
· Airwave, Swing, Sup Air und Charly hatten ordnungsgemäße Musterprüfplaketten auf den Gurtzeugen angebracht. Beim Skyline war keinerlei Kennzeichnung des Gurtzeugs zu finden.
· Als wir das Airwave GT-Light für den Erstflug konfigurierten, kontrollierten wir glücklicherweise die Rettungsgeräteaufhängung am Schultergurt. Die Verbindungsleine war zwar bis zur Aufhängung am Schultergurt hoch geführt, mit dieser aber nicht verbunden! Ohne diese Kontrolle wäre nicht aufgefallen, dass der Retter mit seiner Verbindungsleine nicht am Gurtzeug befestigt war.
· Charly hat serienmäßig ein „Reduzierstück“ aus Schaumstoff für den Rettungsgerätecontainer im Lieferumfang. Eine sehr sinnvolle Sache bei der Verwendung von kleinen Leichtrettern.
· Jedes Gurtzeug hat mindestens sechs Falltests auf der Prüfanlage absolviert. Die Gurtzeuge von Swing, Skyline und Charly überstanden diese Prozedur ohne Beschädigungen. Beim Airwave brach das Sitzbrett. Das Sup Air Hybrid erlitt Beschädigungen an den Ösen des Rettungsgerätecontainers und starke Knicke in der Ventilplatte des Airbags.

Karl Slezak, 27.08.2010
DHV-Sicherheitsreferent

Fotos: Ben Liebermeister, Björn Klaassen