X
Deutscher Gleitschirm- und Drachenflugverband e.V.

DHV

Tödlicher Nebelflug am Babadag/Türkei

28.04.04 Ölüdeniz/Türkei

Wie so oft war der Babadag in Wolken gehüllt. Zum Teil jedenfalls. Auf etwa 1000 Meter war eine großflächige Wolkenschicht, die weit hinaus, bis übers Meer reichte. Im Tagesverlauf zeigte die Wolkendecke zaghafte Auflösungserscheinungen. Hier und da sah man durch Wolkenlöcher das Meer. Wie üblich flog ein Großteil der anwesenden Piloten. "Das ist normal am Babadag, nur die anwesenden Flugschulen und einige wenige Freiflieger verzichten bei diesen Bedingungen auf`s Fliegen", erläutert Achim Heinicke, Fluglehrer aus Abensberg, der vor Ort eine Gruppe deutscher Gleitschirmflieger betreute.
Die Kalkulation geht so: Die Wolkendecke beginnt weit unterhalb des Startplatzes. Im Gleitflug Richtung Meer ist man 10 - 15 Minuten unterwegs, bevor man in die Wolke taucht. Jetzt befindet man sich so weit vom Hang weg, dass auch ein mehrminütiger Blindflug, selbst eine unbemerkte 180 ° Grad Kursänderung in der Wolke, nicht die Gefahr birgt gegen den Berg zu fliegen.

Nebel am Babadag, in diesem Fall bis über Startplatzhöhe. Trotzdem wird geflogen.

"Die Wolke ist höchstens 50 Meter dick und hat jede Menge Löcher", das ist die Information die den am Startplatz Wartenden von den Piloten gegeben wird, die bereits einmal geflogen und für einen weiteren Flug hochgefahren waren. Und, "absolut geil, da durchzuspiralen, 2, 3 Umdrehungen und Du bist unten draußen". Es wird zum Spiel vieler Flieger an diesem Tag; rausgleiten bis zur Wolkenobergrenze, Steilspirale einleiten und durchspiralen durch die graue, feuchte Suppe. Und wirklich, sie ist ganz dünn diese Wolkenschicht, 50 Meter, nicht mehr und man sieht das Meer unter sich glitzern.
Gegen Abend füllt sich der Startplatz zunehmend. Auch viele Piloten, die tagsüber, wegen der Wolken um den Berg, am Strand gelegen haben, steigen jetzt in die Jeeps um noch einen Abendflug zu genießen. Es wird erwartet, dass die Wolke, die sich aus der Feuchtigkeit des Regens vom Vorabend gebildet hat, auflöst.

Fluglehrer Achim Heinike beschreibt die Stimmung am Startplatz. " Eine unglaublich schöne Abendstimmung, perfekte Startbedingungen. Wer bereits einen Flug gemacht hatte erzählte euphorisch vom Abenteuer, durch die Wolke zu spiralen. Ganz easy, völlig ungefährlich und doch aufregend. Die gute Laune, Lockerheit, Unbeschwertheit der Piloten ist ansteckend. Überall Lachen, einige singen, mehrere fangen ausgelassen zu tanzen an". Ein einheimischer Pilot, er agiert fast wie ein Animateur, läuft von Gruppe zu Gruppe und heizt die Stimmung weiter an; " kommt, wir fliegen alle, es ist ein großartiges Erlebnis". 40, 50 Piloten lassen sich mitreißen. Die Schirme werden ausgelegt, Pilot um Pilot startet.

Inzwischen hat sich die Wolkendecke wieder völlig geschlossen. Keine Löcher mehr. Aber ein Funkspruch von einem türkischen Tandempilot am Landeplatz. "Kein Problem, die Stärke der Wolkendecke ist weiterhin nicht über 50 Meter".

Die Wolke hüllt alles ein, die Sicht ist gleich Null. Manche stört das nicht weiter. Wer genau hinschaut sieht auf beiden Bildern mehrere Gleitschirmflieger in der Suppe.

Achim Heinicke registriert seit einiger Zeit eine deutliche Abkühlung der Lufttemperatur. Feuchter und kälter ist es geworden. Die Wolkenschicht  erscheint von oben jedoch unverändert und auf gleicher Höhe.

 

Die Wolkendecke ercheint von oben unverändert..

Der türkische Pilot startet zusammen mit einer kleinen Gruppe, darunter ein 36-jähriger Deutscher, eine 32-jährige Holländerin und der Acro-Pilot Felix Rodriguez. Sie fliegen jedoch nicht, wie die meisten anderen, im Gleitflug vom Berg weg um beim Einflug in die Wolke so weit wie möglich vom Hang entfernt zu sein, sondern beginnen übermütig bald nach dem Start zu Spiralen, zu Wingovern und zu SATen.
Wie vorher vereinbart leiten alle knapp vor der Wolkenberührung eine Steilspirale ein. Für zwei wird es eine Spirale in den Tod. Denn die Mächtigkeit der Wolkenschicht ist in kurzer Zeit um mehrere hundert Meter nach unten angewachsen. Felix Rodriguez, der Profi, hat wohl als erster gemerkt, dass die Situation brandgefährlich ist. Er reduziert seine Spirale auf geringe Sinkwerte und bemerkt deshalb rechtzeitig, dass er direkt auf eine Felswand zuhält. Es gelingt ihm, seinen Schirm herumzureißen und der Kollision mit den Felsen zu entgehen. Felix findet anschließend im Nebel die Richtung zum Landeplatz und kann unbeschadet landen. Der türkische Pilot hat unwahrscheinliches Glück. Er spiralt in die Äste eines Baumes, der im senkrechten Felsgelände wächst und bleibt dort hängen. Ein Beinbruch, mehr passiert ihm nicht. Die Holländerin und der deutsche Pilot dagegen schlagen im Spiralflug mit voller Wucht in den Felsen auf. Die Pilotin aus den Niederlanden muss sofort tot gewesen sein. Der Deutsche lebte noch. Sterbend konnte er noch sein Handy finden und einen Piloten am Startplatz verständigen. Eine Hilfeleistung war jedoch unmöglich. Keiner wusste, wo sich der Schwerstverletzte befand, ein Hubschraubereinsatz war wegen der inzwischen weiter angewachsenen Wolkenschicht unmöglich.

Am nächsten Tag wurden zwei Tote und der schwerverletzte türkische Pilot mit dem Helikopter aus den Felsen geborgen. Während der mehrstündigen Bergeaktion ging der Flugbetrieb am Babadag weiter, wie wenn die Tragödie nie stattgefunden hätte. Tags darauf herrschten wieder "Wolkenflugbedingungen" am Berg. Unbeeindruckt flogen sie, zu Dutzenden durch die Wolken.

Karl Slezak
Sicherheitsreferent

 

Alle Bilder: Hannes Schmalzl

Es wird zum Spiel für viele Piloten an diesem Tag; durch die Wolke spiralen

Im nachfolgenden Beitrag erläutert Dipl. Meteorologe und Fluglehrer Hannes Schmalzl, warum eine Nebel- bzw. Wolkendecke (Nebel = aufliegende Wolke) ihre Mächtigkeit (Dicke) auch in kurzer Zeit verändern kann, eine Situation wie sie zum Unfallzeitpunkt entstanden ist.

Nebel und Folgeprobleme für Flieger
von Hannes Schmalzl


In eine geschlossene, am Gelände aufsitzende und dichte Nebelmasse starten normalerweise keine Piloten. Weder unerschrockene Draufgänger noch GPS- oder kompassbestückte Technikfreaks.

Was aber, wenn die Auffahrt zum Startplatz 50, 100 oder 200 Meter durch eine Hochnebeldecke geführt hat, das Tal oder die Ebene darunter "frei" waren und oberhalb der Nebeldecke bei strahlendem Sonnenschein ideale Flugbedingungen herrschen? Wenn die Hochnebeldecke nach langem zähen Warten scheinbar dünner wird oder an manchen Stellen aufbricht? Wenn bei der Situationsbeurteilung der Flugwunsch als Souffleur im Hinterkopf sitzt? Kein Wunder, dass die Bedingungen oft positiver ausgelegt werden, als sie wirklich sind.

Obwohl ich für solche "Durchstichsexperimente" immer zu feige war, weiß ich von zig solchen Flügen, die sicher zu Ende geführt wurden. Andererseits lag die Baumlandequote selbst bei so "einfachen" Nebelflugbedingungen erheblich über jener bei normalen Sichtflugbedingungen.

Abgesehen von den Tagen mit dünnen aber kompakten, zeitlich kaum veränderlichen Hochnebeldecken oder mit örtlich begrenzten Hangnebelwülste treten Situationen auf, die für "Nebelpiloten" neben Sicht- und Orientierungsverlust eine weitere Gefahrenzunahme bedeuten: Nebel kann sich sehr kurzfristig bilden und nach unten hin bis zum Boden ausbreiten. Und anstelle von ruhigen Gleitflugbedingungen werden eventuell spürbarer Horizontalwind, Auf- und Abwinde sowie leichte bis heftigste Turbulenz angetroffen.

Unter welchen Voraussetzungen kann der Flugweg beinahe augenblicklich "Zumachen", die Sichtweite auf wenige Meter absinken?

- Wenn sehr feuchte Luftmassen (also Luft mit sehr geringen Taupunktdifferenzen), wie sie nach langanhaltenden oder intensiven Niederschlägen auftreten, infolge von Expansion rasch abkühlen.
Gelegentlich reicht eine Hebung von wenigen Metern, um an Hängen großflächig -und praktisch überall zur selben Zeit- Kondensation einzuleiten. Dabei ist es unerheblich, ob die Luft deshalb am Hang aufsteigt, weil sie (wegen besserer Erwärmung) eine geringere Dichte aufweist oder ob sie vom Wind am Strömungshindernis zum Aufsteigen gezwungen wird. Beides kann an einzelnen Erhebungen im Flachland, an Hügeln im Mittelgebirge, an inneralpinen Flanken oder an Küstenbergen passieren. Bei Wind in Richtung Gebirge bewirkt in Tälern fallweise auch die expansionsbedingte Abkühlung durch den Geländeanstieg Nebelbildung.
 
Problematisch für Unerfahrene ist, dass bereits minimales Absinken der Luft genügt, um den Nebel am Hang in kurzer Zeit wieder teilweise oder sogar vollständig aufzulösen. Wer jetzt auf eine nachhaltige Besserung der Lage vertraut, liegt meist falsch. So lange die feuchte Luftmasse nicht durch eine trockenere Luft ersetzt wird oder sich vor Ort kräftig erwärmt hat, bleibt das Problem der plötzlichen Nebelbildung bestehen.
Routinierte Piloten kennen das leidige Phänomen: Nebelauflösung während der Rückenwindphase, rasche Nebelentstehung sobald Aufwind einsetzt. Unabhängig davon, ob die Hebung infolge von Sonneneinstrahlung, einer Querschwingung im Tal oder Hanganströmung erfolgt.

- Bei Zufuhr von feuchter Luft, z.B. aus Niederschlagsbereichen von lokalen Gewittern oder aus dem Vorfeld von Fronten, tritt in Bereichen, in denen diese Luft zwangsweise gehoben wird, verbreitet Kondensation auf.
Im Mittel- und Hochgebirge bilden sich in der Umgebung von Schauerzellen häufig Nebelbänke. Stammt diese Luft aus lokalen Schauern, betrifft dass das Problem oft nur einzelne Fluggebiete, handelt es sich um Luft aus dem Niederschlagsbereich von Fronten, ist es nur die erste von vielen folgenden Gefahren für Flieger.

Der Nebel kann erst im Fluggebiet entstehen, es ist aber genau so möglich, dass bereits Nebel aus Niederschlagsbereichen herangeschafft wird. Einmal im Kriechtempo, ein anderes Mal mit hoher Geschwindigkeit. Das gerade noch "offene" Tal mit besten Sichtverhältnissen macht vielleicht in wenigen Minuten komplett zu.

- Schiebt sich kalte Luft unter warme feuchte Luft, kann dies dazu führen, dass in der wärmeren Luft schlagartig der Taupunkt unterschritten wird und Mischungsnebel entsteht.

- Strömt warme und feuchte Luft über einen kalten Untergrund, ist durch die Abkühlung der herangeschafften Luft Nebelbildung wahrscheinlich.