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Deutscher Gleitschirm- und Drachenflugverband e.V.

DHV

Bilder von Torsten Siegel

US Open 2021 - Chelan

„Die Spinnen, die Gleitschirmflieger!
Torsten Siegel

Live-Berichte

Sonntag, den 25.07.2021

Die US Open endete heute leider mit einem Unfall am Startplatz und dem Einsatz eines Rettungshubschraubers, so dass der Task noch vor dem Start abgebrochen wurde. Trotzt der warnenden Zurufe der Helfer startete ein Pilot mit einem einseitig eingeklappten Schirm und flog kurz darauf in den felsigen Hang. Am Abend kam die Info, das er sich mehrere Knochenbrüche zugezogen hat, die aber wohl alle gut verheilen. Wir drücken ihm die Daumen!
Nachdem der Hubschrauber nach seinem Abflug eine dicke Staubschickt auf uns und der Ausrüstung hinterlassen hatte, drehten wir noch eine Runde um den Lake Chelan. Wie schon vermutet war heute der beste Tag des Wettbewerbs ohne Wind und den ersten Kumuluswolken seit einer Ewigkeit.
Die amerikanische Legende Josh Cohn durfte sich über einen weiteren Sieg bei der US Open freuen. Zuvor stand er auch bei der Ozone Open auf dem Podium und nach zwei Wochen unter dem „Heat Dome“ geht es für uns alle nach Hause. Wir sind definitiv warmgeflogen für das Super Finale in der Schweiz und ich musste nach dem Abendessen in einem chinesischen Restaurant etwas lachen, als der Glückskeks die folgende Botschaft für mich bereithielt: “You have tremendous potential for success”

Dann lassen wir uns mal überraschen!

Samstag, den 24.07.2021

Damit hat keiner mehr gerechnet: ein ganz normales Rennen über 100km mit tollen Bedingungen. Weiß gar nicht, was ich dazu schreiben soll, da es bis auf ein paar kleinere Baustellen von Anfang bis zum Ende sehr gut lief. Daher machen wir es kurz, da es eh schon spät ist. Morgen soll es sogar noch etwas besser werden und wenn der Wind mitspielt, geht es in die Berge. Das wäre in der Tat ein außergewöhnlicher Abschluss der US Open. Hoffen wir, dass es klappt!

Freitag, den 23.07.2021

Mein Sohn hat in kürzester Zeit alle Asterix-Hefte verschlungen. Wenn Obelix seinen bekannten Satz: „Die Spinnen, die Römer!“ zum Besten gibt, freut er sich schelmisch und kennt mittlerweile alle Variation auswendig. Wenn Obelix den Wettbewerb hier verfolgen könnte, wäre heute sicher der Satz „Die Spinnen, die Gleitschirmflieger!“ gefallen. Ich denke der Tag wollte beweisen, dass er wenig von Algorithmen und Wettervorhersagen hält.

Der Start. Butterweich nach oben auf 2.200 Meter und da es noch eine ganze Weile bis zur Fensteröffnung auf der anderen Flussseite ist, lieber nicht zu früh losfliegen und etwas später mit mehr Höhe und sicherem Thermikanschluss wechseln. Eine gute halbe Stunde fliege ich mit einem Pulk 400 Meter tiefer los. Kein einziger Bart wollte mehr nach oben ziehen und 100 Piloten umkreisten den Start wie Fliegen, verzweifelt auf der Suche nach etwas Steigen.

Nach der Flussquerung kommen wir tief an. Für viel zu tief. Ich entgehe als einziger meiner Gruppe einer Außenlandung und ziemlich genau zur Fensteröffnung sind wir ideal positioniert. Es folgt ein schönes Race zur ersten Boje und dann weiter, bis plötzlich in der Mitte vom Pulk die Klospülung betätigt wird. Wir rauschen mit über 6 m/s nach unten und versuchen die Tüten offen zu halten. Ich fange mir einen Klapper ein und als Bonus verknoten sich die Bremsleinen des Außenflügels. Das Freeletics „Core-Training“ zahlt sich jetzt endlich aus und es geht mit verdrehtem Oberkörper einigermaßen gerade weiter. Aber verdammt tief, so dass es mich über die Abbruchkante eines ehemaligen Gletschers spült. Dort Hämmert der Bart des Tags in die Kappe, die verknoteten Bremsleinen reißen und geben zumindest den Außenflügel wieder frei. „Glücklicher“ Weise ist nach dem Bart das Handling eh egal: wir tauchen für lange Zeit in den dicken Rauch der umliegenden Feuer ein und haben bisweilen keine Bodensicht mehr. Das schwache Steigen paart sich mit unverhältnismäßig hohen Sinkwerten beim Gleiten und ich bleibe zumindest meiner schlechten Linienwahl treu, bis ich auf einem der endlosen Felder am Boden stehe.
Beim Zusammenpacken erscheint aus dem Nichts Farmer John, der deutsche Wurzeln hat und mir sofort einen Transport anbietet, als ich ihm von meiner Herkunft erzähle. Während der Fahrt erkundigt er sich, ob das nicht verrückt ist, was wir da machen. Mitten auf den Feldern fern ab von allem zu landen. Ich frage ihn, ob er Obelix kennt und als er das verneint erkläre ich ihm, dass wir wahrscheinlich schon ein wenig spinnen, was ihm ein lautes Lachen entlockt.

Morgen bricht hier der vorletzte Tag der US Open an. Mit mehr Wind wird es wahrscheinlich wieder eine ähnliche Aufgabe geben. Lassen wir uns überraschen, was der Tag für uns bereithält.

Donnerstag, den 22.07.2021

Kein Task heute, zu viel Wind.

Mittwoch, den 21.07.2021

Heute war ich dem Hohn und Spot meiner jungen Kollegen ausgesetzt. Hier in Amerika wurden die Zeichen der Zeit erkannt und so gibt es neben den uns geläufigen Wertungsklassen auch eine „Masters“ Klasse. Die ist für Piloten reserviert, welche das 50. Lebensjahr überschritten haben. Und da mein fünfter Platz von gestern gleichzeitig einen Tasksieg bei den „Masters“ bedeutete, durfte ich mich über ein OZONE-Beanie und ein Haufen dummer Kommentare freuen. Z.B. das die Ergebnislisten für diese Klasse am besten in Arial 18 fett ausgedruckt werden und es als Preis doch lieber Gehilfen, Prostata-Kapseln für die Stärkung und Entlastung der männlichen Harnorgane und ‘ne Tube Gelenkschmiere geben sollte.


Unweigerlich musste ich an die Textzeile aus „Graue Panther“ von den Toten Hosen denken: „Wenn wir noch jung wären, wir würden euch so die Fresse polieren. Da braucht ihr gar nicht so dumm zu lachen!“


Die beste Zusammenfassung des heutigen Tasks gebührt wieder einem amerikanischen Piloten: „This was spicy!“ Die Aussage war dem erst strammen und am Ende fast stürmischen Wind zu verdanken. Der sollte uns eigentlich schnell ins Ziel Richtung Osten schicken, aber dummerweise drehte er im Tagesverlauf auf Süd und verblies neben den Dustdevils auch die Piloten. Meine Ambition nach einem guten und hohen Start etwas aus der Position zu machen schien Dank eines Bilderbuch Dustdevils, über dem einer der hier raren Greifvögel kreiste, mehr als berechtigt. Aber der Dustdevil löste sich genauso wie meine Ambitionen auf. Ich wurde ziemlich tief über Grund zu einem Jo-Jo der Elemente, während das gesamte Feld über mich hinwegfloh. Erst zehn Minuten später sprang die Wärmepumpe wieder an und ich war ziemlich stolz auf mich, als ich nach der Querung des „Banks Lake“ im weiteren Verlauf zu dem Führenden Josh Cohn in einer Vierergruppe aufschießen konnte. Doch dann wurde es so richtig „spicy“: der Windversatz in der Thermik war extrem und entfernet uns mehr vom Ziel. Meine Idee mehr dagegen zu halten endete im Rückwärtsflug auf einer netten Farm, die von einem alten Hund und „Grandma“ bewacht wurde. Letztere war um die willkommene Abwechslung mehr erfreut als ich um meine Außenlandung und löcherte mich mit Fragen. Und als ich ihr dann von der „Masters“ Klasse und den Scherzen der jungen Leute erzählte, hatten wir plötzlich eine Menge Gemeinsamkeiten!
Morgen scheint der Wind noch mal eine Schippe draufzulegen.

Vielleicht sollten wir daher besser noch einen COVID Test machen, falls uns der Wind nach Kanada verbläst. Ohne COVID Test droht uns eine 14-tägige Quarantäne.

Dienstag, den 20.07.2021

Eine Animation vom Flug des 2. Task

„This is a f… insane sport!” Einer der vielen Kommentare, welche die aufgekratzten amerikanischen Freunde im Ziel von sich gaben. Und so ganz daneben lag der Kollege mit der vereinfachten Zusammenfassung des Tages nicht. Nachdem wir am Start dank einer dicken Inversion und reichlich Rauch von den umliegenden Feuern bis 13:15 Uhr gekocht wurden (die Temperaturen kratzen wieder an der 40°C Marke), ging es nach einer leichten Abkühlung im Startbart auf die andere Uferseite, von wo aus die ersten Piloten auch gleich wieder die Rückreise mit dem Van antreten durften. Selbst zur fortgeschrittenen Stunde ging es nur extrem zäh nach oben. Dann wurde der Schalter umgelegt, die 3.000m Marke überschritten und auf den unterschiedlichsten Routen zur ersten Boje geflogen. Nach einer 180 Grad Wende erwartete uns ein turbulenter Gegenwind, gewürzt mit Dustdevils, nervenaufreibenden Sinkalarm und alles ein paar Stockwerke tiefer. „Das Leben beginnt dort, wo deine Komfortzone endet!“ Wirklich?Das war aber noch immer nicht genug. Auf dem Weg nach Norden Richtung Ziel hämmerte uns ein Bart nach oben, von dem wir nahtlos in eine 15 Kilometer lange Konvergenz sprangen. Mit massivem Rückendwind und dem Beschleuniger am Anschlag ging es bisweilen mit über 90 km/h über das Hochplateau. Ich weiß nicht, ob der Sinkalarm im Vollgas aufreibender ist oder ein quietschendes Vario wenn es wie im Fahrstuhl Richtung Wolke geht. Zumindest war das wohl einer meiner längsten Endanflüge im Vollgas, der mit mehr als 1.000 Metern über dem Ziel endete.Wir dürfen gespannt sei, was der „f… insane sport“ Morgen für uns bereithält.

Montag, den 19.07.2021

Heute musste ich wieder mal an Norman denken. Er war früher meistens ein paar Tage vor dem Wettkampf im Fluggebiet und berichtete uns oft, wie ‚abartig‘ gut es dort geht. Und als wir dann ankamen und die Aufgaben gestartet wurden, ging es nur noch halb so gut. Daher hatte ich heute ein Déjà-vu, als es während der ersten Aufgabe nur zäh und verblasen nach oben ging. Das gleiche Bild nach der Flussquerung im Flachland, wo es bereits die ersten Außenlandungen gab (drei Tage vorher ging es hier mit integrierten 8.8 m/s nach oben).
Mit Josh Cohn auf einem Niviuk X-One und einem argentinischen Kollegen mit einem Enzo3 erfreuten wir uns dann eine kurze Zeit über die Mutter aller Linien und einen netten Vergleich der aktuellen Wettkampfschirme. Ich reizte das noch weiter aus mit einer direkten Line bis zum Sprung über den Columbia River im Norden, wo sich das Feld wieder etwas sammelte und meine Glückssträhne jäh endete. Mit den ersten Piloten fanden wir nach der Querung keinen direkten Anschluss und weitere Piloten mussten in dem ziemlich verblasen Tal landen. Ich rette mich noch mal aus 80 Metern zu meiner eigenen Verwunderung nach oben, nur um kurze Zeit später das gleiche Schicksal zu erleiden. Dabei war die Grenze zu meiner Wahlheimat Kanada doch so nahe.
Das schöne ist, dass von der langen Wettkampfpause nichts mehr zu spüren ist und wir uns alle auf die nächsten sechs Tage freuen. Wenn man bei zähen Bedingungen wie heute 124km fliegen kann, dann geht es die nächsten Tage sicher noch weiter.
Und zu guter Letzt noch eine Korrektur. Wettkampfaufgaben über 200km sind wohl doch keine Seltenheit: bei den Kiwi Open in Australien waren knapp 30 Piloten nach 220km im Ziel. Ganz vage erinnere ich mich auch noch einen World Cup in der Sierra Nevada, bei der eine der wenigen „Open Distance“ Aufgaben gestartet wurde und die Piloten eine ähnliche Weite erzielten. Die epische Rückholaktion hat den Weltcup allerdings dann dazu veranlasst, die „Open Distance“ in der Schublade verschwinden zu lassen

Sonntag, den 18.07.2021

Die Frage für den heutigen Trainingstag: muss man sich bei 36°C warmfliegen? Eher nicht und so haben wir, zur Freude unserer koreanischen Arbeitgeber, am Samstag weiter diverse Schirme getestet und sind am Ende noch eine Runde mit unseren Wettkampfschirmen geflogen. Eine schlaue Entscheidung, denn beim Safetybriefing warnte uns Meetdirector Matt Senior gerade vor einem Marathon, der uns bevorsteht. Morgen fällt der Startschuss und dann lassen wir uns überraschen, ob sich das Cardio-Training während des Lockdowns auszahlen wird.

VG
Torsten

Samstag, den 17.07.2021

Hallo,

Seit Aldous Huxleys berühmten dystopischen Roman „Fahrenheit 451“ ist die Temperatur, bei der Bücherpapier Feuer fängt und verbrennt, weltbekannt. Weniger bekannt hingegen ist das Kriechverhalten von Monofilamenten und da ich hier im Westen der USA zum ersten Mal in meinem Leben dreistellige Temperaturen bis 104°F erlebe (~40°C), bin ich doch etwas um das ganze Gleitschirmmaterial im Auto besorgt. Schließlich steht im jeden Handbuch genau das nicht zu machen: seinen Gleitschirm im Auto zu backen. Ich bin gespannt, wie der Praxistest ausgeht.

Ziemlich angespannt hingegen ist die Lage bei der hiesigen Feuerwehr. Die letzten zwei Tage waren die Jungs pausenlos im Einsatz, um die örtlichen Waldbrände zu bekämpfen. Mein Hotel liegt am Columbia River, welchen die Löschflugzeuge nutzen, um ihre Wassertanks aufzufüllen. Ein ziemlich beeindruckendes Schauspiel.

Und wenn wir schon bei Schauspiel sind: nach einer gefühlten Ewigkeit starten auch auch ihr in Amerika wieder die ertsen Wettbewerbe nach der Covid Zwangspause. Mit der Ozone Chelan Open ging gestern ein Wettbewerb mit Serienschirmen (max. EN-C) zu Ende und heute knüpft die US Open nahtlos mit einem Trainingstag an das Geschehen an. Chelan ist für seine großartiges XC-Potential bekannt und dem ersten und einzigen Wettkampftask über 200km. Und das das Wetter mitspielt, dürften wir hier recht interessante Aufgaben fliegen, von denen ich hier und da etwas berichten werde.

Viele Grüße

Torsten

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