Tödlicher Unfall; Verhänger nach Wingovers
Erneut tödlicher Unfall beim Acrofliegen
Am 6. September 03 verunglückte ein 23-jähriger deutscher A-Schein-Pilot mit 3 Jahren Flugerfahrung in Südtirol tödlich. Nach Augenzeugenberichten trainierte er sehr hohe Wingovers in weniger als 100 Meter Höhe über Grund, als sein Gleitschirm (Gardient, Bright, Klassifizierung 1), nach Entlastung der Leinen, großflächig einklappte. Der Einklapper verhängte sich und der Schirm geriet ansatzlos in einen schnellen Spiralsturz, den der Pilot nicht mehr ausleiten konnte. Das Rettungsgerät wurde nicht ausgelöst. Beim frontalen Aufprall an einem steilen Hang zog sich der Pilot tödliche Verletzungen zu.
Verhänger – akute Gefahr bei hohen Wingovers
Praktisch immer wenn es beim Wingovern zu einem Einklapper kommt, ist davon die „hohe“ Seite, die Flügelaußenseite betroffen. Dies hat zwei Gründe. Zum einen ist auf der hohen Seite der Anstellwinkel klein (weil die Geschwindigkeit hoch ist) und damit der Schirm generell einklappgefährdeter. Weil das so ist, muss beim Wingovern der Außenflügel stets mit der Bremse gestützt werden um ein Einklappen zu verhindern.
Zum anderen ist die Stabilität der Kappe beim Wingovern in hohem Masse daran gebunden, dass der Flügel ständig und in allen Teilen unter Last ist. Das ist dann der Fall, wenn das Kurvengewicht (die Resultierende aus Gewichtskraft und Zentrifugalkraft) stets gleichmäßig an der Kappe angreift. Im stationären Kurvenflug ist dies einfach, bei einem Manöver mit ständigem Kurvenwechsel, wie dem Wingover dagegen schwierig. Der Pilot muss den Kurvenwechsel so gestalten, dass das Pendelsystem Pilot – Kappe stets synchron arbeitet. Wenn das nicht funktioniert, weil beispielsweise die Gegenkurve zu früh (oder zu schnell), vor dem maximalen Ausschlag des Pendels eingeleitet wird, kann es kritisch werden. In diesem Fall eilt das Pendel Kappe voraus und hat seinen größten Ausschlag erreicht, bevor dies bei seinem massenträgeren Gegenüber, dem Piloten, auch der Fall ist. Am höchsten Punkt angekommen bleibt der Außenflügel stehen, er „verhungert“, wegen der fehlenden Energie (Geschwindigkeit) um vom Scheitelpunkt unverzüglich nach vorne auf die Nase zu nicken.
Jetzt kommt es zum Entlasten und Einklappen der äußeren Kappenteile.
Die Einklapprichtung geht dabei nicht, wie bei einem Klapper aus dem Normalflug von vorne über die Eintrittskante diagonal zur Hinterkante. Vielmehr „fällt“ der entlastete Außenflügel Richtung Kappenmitte, und verhängt sich häufig in den Leinen der noch offenen Kappe.
Aus dieser Verhängersituation kommt es dann zu einem ansatzlosen Übergang in einen extremen Spiralsturz. Piloten, die eine solche Extremsituation einmal erlebt haben, vergessen nie zu erwähnen, mit welch brutaler Dynamik der Schirm innerhalb weniger Sekunden in einen atemberaubenden Spiralsturz gerät.
Auf dem ersten Blick ist es nicht leicht ersichtlich, warum der Übergang in den Spiralsturz aus dieser Situation so schnell erfolgt. Eingeklappt und verhängt ist schließlich die Flügelaußenseite, also entgegen der Kurvenrichtung.
Die Erklärung liegt wiederum im Pendelsystem Pilot – Gleitschirm. Nach dem Einklappen und Verhängen des Außenflügels entseht ein Drehimpuls der Kappe zu dieser Seite, während der Pilot zur Gegenseite schwingt. Innerhalb von 1-2 Sekunden ist das Pendel, wie beim Wingover voll ausgeschlagen, mit dem Unterschied, dass der Widerstand des verhängten Außenflügels eine anhaltende und schnelle Drehbewegung verursacht. Bemühungen des Piloten den Spiralsturz unter Kontrolle zu bringen (Gegenbremsen, Fullstall), sind meist wirkungslos. Oft kann der Pilot auch deshalb nicht mehr aktiv eingreifen, weil er in die Tragegurte eingetwistet ist. In dieser Situation muss sofort der Rettungsschirm ausgelöst werden.
Der DHV empfiehlt, das Trainieren von Wingovers nur über Wasser, mit allen hierfür erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen durchzuführen. Über Land, besonders mit geringer Höhe über Grund, muss Wingovern, wegen der extremen Folgereaktionen des Schirmes bei einem Pilotenfehler, als ein besonders kritisches Flugmanöver gelten.
Auch besonders sichere Gleitschirme (Klassifizierung 1) sind, wie der aktuelle Unfall zeigt, gefährdet. Das geschilderte Geräteverhalten kann bei Gleitschirmen aller Klassifizierungen auftreten. Kunstflugmanöver werden im Gütesiegelverfahren durch den DHV nicht getestet.
Nachfolgend eine kurze Videosequenz aus einem Sicherheitstraining. Sie zeigt das Einklappen und Verhängen des Außenflügels durch Entlasten der Leinen bei einem mäßigen Wingover. In diesem Fall wurde die Entlastung und das Einklappen dadurch verursacht, dass der Pilot den Steuerimpuls zur letzten Kurve zu hart und zu schnell gesetzt hat. Gut zu sehen ist der sehr rasche Übergang in den Spiralsturz, der – nach Funkanweisung durch den Fluglehrer – durch Gegenbremsen gestoppt werden konnte. Dabei kam es jedoch zu einem Strömungsabriss. Wegen der geringen Höhe über dem Wasser und weil der Pilot eingetwistet und damit handlungsunfähig war, erfolgte aus Sicherheitsgründen die Anweisung zum Auslösen des Rettungsschirmes.
Karl Slezak, Sicherheitsreferent
© Video: Flugschule Chiemsee GmbH, Thomas Beyhl
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