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Deutscher Gleitschirm- und Drachenflugverband e.V.

DHV

Tödlicher Unfall durch Überbremsen nach Einklapper

Tödlicher Flugsportunfall von Hans Wehner mit einem Gleitschirm Swing Arcus XL

Am 13.06.01 verunglückte der 45- jährige Gleitschirmpilot Hans Wehner bei einem Flug vom Tegelberg tödlich. Anhand mehrerer Augenzeugenberichte habe ich versucht, den wahrscheinlichen Unfallablauf zu rekonstruieren.

1. Pilot

Der 45- jährige war ein nicht regelmäßig fliegender Gelegenheitspilot mit 7 Jahren Flugerfahrung und A-Schein. Sein Startgewicht betrug ca. 135 kg.

2. Gerät

Beim Unfallgerät handelte es sich um einen Swing Arcus XL mit DHV- Kategorie 1-2. Dieser Schirm hat eine einsitzige Zulassung bis 140 kg Startgewicht und eine Zulassung als Doppelsitzer bis 170 kg Startgewicht.

3. Wetterbedingungen

Zum Unfallzeitpunkt hatte der Nordwestwind am Startplatz eine Stärke von 20 - 25, in Böen 30 km/h. Die Piloten wurden, durch Wind und Thermik, ohne nennenswert Vorwärtsfahrt zu machen, vom Start weg 30 - 100 Meter nach oben gezogen. In der Stunde vor dem Unfall gab es eine Reihe von Vorfällen bei startenden oder abfliegenden Gleitschirmen. Ein Pilot wurde mit stark eingeklappten Schirm aus dem Stand hochgerissen, nach einer 90° Grad - Drehung raste er mit Rückenwind auf die Ostrampe zu, die er zum Glück verfehlte. Er konnte sein Gerät in dem Kessel unterhalb der Ostrampe schließlich wieder unter Kontrolle bringen.

Fluglehrer Manfred Laudan war zum Unfallzeitpunkt mit einem Gleitschirm in der Luft und befand sich über dem Gipfel des Tegelberges. Seiner Aussage nach waren die Flugbedingungen "absolut grenzwertig".

4. Unfallablauf

Nach dem Start flog Hans Wehner, mit wenig Vorwärtsfahrt und dabei Höhe gewinnend, in nordöstlicher Richtung vom Startbereich ab. Nach ca. 80 Metern Flugstrecke, in einer Höhe von etwa 100 Meter über Grund, kam es zu der Störung, die schließlich zum Absturz führte. Der weitere Ablauf wird von den Augenzeugen teils unterschiedlich beschrieben. Alle haben zunächst einen mäßigen seitlichen Einklapper (30- 40%), ein kurzes Wegdrehen des Schirmes, und dann das Einklappen ( 20- 80%) und Wiederöffnen der Gegenseite beobachtet. Anschließend schoß die Kappe derart dynamisch nach vorne, dass der Pilot über das Segel katapultiert wurde und schließlich, die Kappe berührend, nach unten in die entlasteten Leinen stürzte. Der völlig deformierte Schirm öffnete nicht mehr, vermutlich waren Leinen am Piloten oder am Gurtzeug verhangen. Mit hoher Fallgeschwindigkeit stürzte der Pilot, hinter einer Geländekante aus dem Sichtfeld der Augenzeugen verschwindend, in felsiges Gelände. Der Rettungsschirm wurde nicht ausgelöst. Die kurz darauf beim Verunglückten eintreffenden Ersthelfer sicherten diesen zunächst vor weiterem Absturz und leisteten anschließend Erste Hilfe. Wenig später traf ein Notarzt an der Unglücksstelle ein, dieser konnte jedoch nur noch den Tod von Hans Wehner feststellen.

5. Unfallanalyse

Die unmittelbare Absturzursache, das extreme Vorschießen des Schirmes, war mit hoher Wahrscheinlichkeit die Folge eines Strömungsabrisses durch Überbremsen. Ein Augenzeuge hat mit Sicherheit beobachtet, dass beide Arme, nach dem zweiten Einklapper nach unten gestreckt waren. Nach seiner Aussage kam es unmittelbar nach dem Freigeben der Bremsen durch den Piloten zu dem extremen Vorschießen der Kappe. Fluglehrer Peter Falb beobachtete ein schnelles Wiederöffnen der eingeklappten Seite, ein kurzes Verharren des Schirmes und anschließend das starke Vorschießen der Kappe.

Alle Augenzeugen betonen, dass der Schirm vor dem Vorschießen nicht deutlich hinter dem Piloten war, oder sich gar im Fullstall befand. Dies wäre ein für jeden ersichtliches Anzeichen eines Strömungsabrisses gewesen. Vermutlich hat der Pilot den Schirm durch das beidseitige Herunterziehen der Bremsen "angestallt" und beim beginnenden Wegkippen der Kappe, im Moment der Wiederöffnung des Klappers, die Steuerleinen freigegeben. Tatsächlich kann gerade aus dieser Situation ein extremes Vorschießen der Kappe provoziert werden. Hierzu eine kurze Erläuterung:

- bei einem deutlichen beidseitigen Strömungsabriß deformiert der Schirm sehr stark im Bereich der Außenflügel. Werden die Bremsen jetzt schnell gelöst, wird das Vorschießen der Kappe durch den Widerstand der beidseitigen Deformation und den dadurch verzögerten Aufbau von Auftrieb, deutlich gedämpft.

- zu Beginn des Strömungsabrisses ist der Flügel noch vollständig offen. Im vorliegenden Fall erfolgte die Wiederöffnung des Einklappers zeitgleich mit dem Strömungsabriß. Werden in der beginnenden Abkippbewegung nach hinten (für Beobachter oft nur als ein "Stehenbleiben" der Kappe zu beobachten) die Bremsen schnell freigegeben, erfolgt ein sehr schneller Aufbau von Auftrieb, der nicht durch deformierte Flügelteile gestört wird. Die Kappe kann jetzt extrem nach vorne und der Kreisbewegung folgend nach unten schießen. Im Regelfall stoppt der Schirm dieses Vorschießen, noch weit bevor er sich unter dem Piloten befindet, mittels eines gewaltigen Frontklappers. Im vorliegenden Fall könnte Turbulenzeinfluß, z.B. starker Abwind, das weitere Vorschießen der Kappe begünstigt haben. Denkbar ist auch, dass der Pilot seinen Schirm in der Vorschießbewegung leicht bis mäßig angebremst hat. Dadurch wird das Profil stabilisiert, der Schirm kann, ohne einzuklappen, bis unter den Piloten kommen.

6. Zusammenfassung

Unfallursache war mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Überbremsen des Schirmes durch den Piloten nach einem Einklapper. Ein derart extremes Vorschießen der Kappe ist nur aus einem Strömungsabriß möglich, allein ein seitlicher Einklapper- auch ein sehr großer- kann nicht zu einer so kritischen Flugsituation führen.

Ob dieses Schirmverhalten klassentypisch ist, ob ein 1-2 er so etwas" darf"- diese Frage kann so nicht beantwortet werden. Kein Testpilot der Welt testet das Vorschießverhalten eines gerade in den Strömungsabriß abkippenden Schirmes- es wäre praktisch die Garantie in die Kappe zu stürzen.

Aus dieser Extremsituation können auch besonders gutmütige Gleitschirme- und zu diesen zählt das Unfallgerät- äußerst kritisch reagieren.

Zu vermuten ist auch, dass der nicht sehr routinierte Pilot mit den äußerst anspruchsvollen Flugbedingungen deutlich überfordert war. Die Wahrscheinlichkeit von Fehlreaktionen steigt dramatisch an, wenn die äußeren Umstände den Piloten psychisch und motorisch bereits bis an seine Kapazitätsgrenze belasten. Dieser Absturz setzt die Serie von tödlichen Unfällen in diesem Jahr fort, deren Ursachen in drastischer Fehleinschätzung der Wettersituation und des eigenen fliegerischen Könnens zu suchen sind.

Karl Slezak

DHV- Sicherheitsvorstand