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Deutscher Gleitschirm- und Drachenflugverband e.V.

DHV

Retterauslösung im G-Force-Trainer

Text: Karl Slezak
Fotos: Ben Liebermeister, Karl Slezak
Videos: Thomas Grabner

Direkt an der hell erleuchteten Halle vorbei verläuft die Bundesstraße durch’s Enntal. Was sich wohl die Autofahrer denken, wenn sie durch die Glasfassade blicken? An einem futuristischen Metall-Gebilde, optisch eine Mischung aus Hubschrauber-Rotor und Jahrmarkt-Karussell, wird ein Mensch rasend schnell im Kreis gedreht. Astronautentraining? Eine neue verrückte Sportart von den Amis? Ein abgefahrenes Projekt für einen Vergnügungspark?

Wir sind bei Thomas Grabners G-Force-Trainer (www.Gforce-trainer.com) in der Nähe von Gröbming/Steiermark. Thomas hat hier ein bemerkenswertes High Tech Projekt verwirklicht. Ein Trainingsgerät, das Gleitschirmflieger gefahrlos an die Beschleunigungskräfte heranführt, wie sie beispielsweise bei einer Steilspirale auftreten. Alles macht einen hochprofessionellen Eindruck, die Maschine wirkt extrem solide. Edelstahl, Alu, fette Stahlträger, die mit Bolzen von Vertrauen erweckender Größe im Betonboden verankert sind. Die Aufhängung für das Gurtzeug, mit vielfältig justierbaren Gewindestangen, ist komplex. Das ist notwendig, um den Piloten unter G-Last in die gleiche Position zu bringen wie bei einer Steilspirale mit dem Gleitschirm. Messgeräte, Datenkabel, On-Board-GoPro-Kamera, eine Steuerungsanlage für den Operator wie bei Raumschiff Enterprise; wir sind beeindruckt.
Zwei Wochen vorher waren wir schon einmal hier. Haben unter Thomas Anleitung immer höhere G-Kräfte auf uns wirken lassen. Erstaunlich dabei; man wird nicht nur einfach passiv im Kreis herumgeschleudert. Wie bei einer echten Spirale, kann mit den Bremsen die Geschwindigkeit der Drehbewegung gesteuert werden. Wenn es über 4 G geht, merke ich den Einfluss der Kräfte gewaltig. Thomas bringt uns eine spezielle Atemtechnik bei, wie sie auch Kampfjet-Piloten anwenden. Trotzdem ist bei 5 G für mich Schluss. DHV-Testpilot Reiner Brunn und PR-Mann Ben Liebermeister geben sich auch 6 G. Wir sind begeistert von den Trainingsmöglichkeiten die Thomas G-Force-Trainer für Gleitschirmflieger bietet.

Vollgas: Thomas Grabner gibt sich die vollen 7 G bei der Demonstration.

Gurtzeug-Tests

Heute wollen wir Tests mit Gurtzeugen machen. Immer wieder erhalten wir im DHV Berichte darüber, dass speziell bei schnellen Drehungen unter hohen G-Lasten, die Auslösung des Retters aus dem Container des Gurtzeugs stark erschwert ist. Im Rahmen der Musterprüfung wird in der DHV-Prüfstelle die einwandfreie Funktion des Rettungsgerätecontainers bei jedem Gurtzeug eingehend geprüft. Aber nur in der statischen Gurtzeugaufhängung, nicht unter G-Belastungen. Deshalb haben wir 7 verschiedene Gurtzeuge eingepackt, mit den unterschiedlichsten Containertypen für den Rettungsschirm. Beraten hat uns die Flugschule Chiemsee, die auch die Gurtzeuge und Rettungsgeräte zur Verfügung gestellt hat. Die Auslösbarkeit des Retters soll bei allen Gurtzeugen mit 4 G geprüft werden, eine Belastung, die extremen Steilspiralen entspricht. Und zwar in zwei verschiedenen Dreh-Situationen: Vorwärts drehend, wie in einer Steilspirale. Und rückwärts drehend, SAT-ähnlich, die Pilotenposition ist hier wie bei einer Drehung mit Verhänger.
Die Auslösetests wurden mit jedem Gurtzeug in zwei Pilotenpositionen durchgeführt. Normale, aufrechte Pilotenposition und deutlich zurückgelehnte Pilotenposition. Wir führten zudem mit allen Gurtzeugen jeweils mindestens einen Test mit einem verbreitetem Standard-Rettungsgerät (Sup Air M, 2,2 kg) durch und mit einem modernen Leichtretter (Turnpoint Incase 3.0 130, 1,7kg) 

                               

                                   4-G-Test,vorwärts, Video. Außenkamera

Advance Axess2 Air EAPR-GZ-7253/10

                        


Das Advance-Gurtzeug hat einen Tube-Container, der sich seitlich öffnet. Das Innere des Containers hat die Form einer schrägen Ebene. Der Retter rutscht dadurch selbständig Richtung Öffnung. Beim Axess muss der Rettungsschirm in den zum Gurtzeug gehörigen, größenverstellbaren, Innencontainer eingebaut werden. Der Vorteil dieses Systems ist, dass der Innencontainer baulich optimal mit dem Gurtzeug harmoniert. Einbaufehler sind fast nicht mehr möglich. Am ganzen Containersystem gibt es keinen Klett, der Verschluss erfolgt mittels Kunststoff-Splinten. Advance hat die Verschluss-Reihenfolge der Außencontainer-Blätter mit Zahlen und Buchstaben markiert. Das erleichtert den fehlerfreien Einbau der Rettung enorm.
Gleich mit dem Test dieses ersten Gurtzeugs zeigte sich, wo das momentane Optimum bezüglich Retter-Auslösung liegt. Vorwärts drehend, mit großem oder kleinem Retter, dicken oder dünnen Handschuhen; die Testpersonen hatten keinerlei Probleme den Griff zu finden und den Retter schnell und mit geringem Kraftaufwand aus dem Container zu ziehen. Rückwärts drehend (Simulation Verhänger-Spiralsturz) gab es eine leichte Verzögerung beim Auffinden des Griffes, die Auslösung funktionierte dann aber tadellos. Die kurze Verbindung vom Griff zum Innencontainer hätte ein kraftvolles Wegschleudern sehr gut ermöglicht.

Video Retter-Auslösung vorwärts drehend, aufrechte Pilotenposition
Video Retter-Auslösung vorwärts drehend, zurückgelehnte Pilotenposition
Video Retter-Auslösung rückwärts drehend, zurückgelehnte Pilotenposition

Advance Axess 2 Air
Tubecontainer mit Innencontainer
Kompakt: Der ausgelöste Innencontainer bereit zum Wurf
 

Ozone Oxygen 2 DHV GS-03-0379-11

                       

Gurtzeuge mit Rettungsgeräte-Container am Rücken sind ziemlich selten geworden. Der Grund: Zwangsläufig ergibt sich aus dieser Anordnung eine lange Verbindung zwischen Griff und Rettungsschirm. Der Innencontainer baumelt an einer halbmeterlangen Verbindung zum Auslösegriff und lässt sich dadurch vom Piloten nicht wirklich kraftvoll wegschleudern. Griff und Außencontainer-Verschluss des Ozone-Gurtzeugs  sind zur Fixierung sparsam mit Klett versehen. Grundsätzlich ist bei Klett am Auslösemechanismus zu beachten, dass die Haltekräfte mit der Zeit ansteigen. Regelmäßiges Lösen und wieder ankletten ist deshalb wichtig.
Das Oxygen 2 zeigte sich völlig unproblematisch bei den Auslöseversuchen. Der vollständig öffnende 5-Blatt-Container gab das Rettungsgerät in allen getesteten Konfigurationen sofort frei. Hinsichtlich der Freisetzung des Retters aus dem Innencontainer war das Oxygen 2 top. Zwei Nachteile sind jedoch zu nennen. Die schon erwähnte ungünstig lange Verbindung zwischen Auslösegriff und Innencontainer. Und die Tatsache, dass der Griff nur schwer wieder erreichbar ist, wenn er einmal verloren wird. Löst er sich, beispielsweise beim Such-Tasten mit der Hand vom Klett, wird er vom Fahrtwind hinter den Rücken des Piloten geweht. Selbst ein Profi wie DHV-Testpilot Reiner Brunn hatte Mühe, ihn dort wieder zu finden.

Video Retter-Auslösung vorwärts drehend, aufrechte Pilotenposition
Video Retter-Auslösung vorwärts drehend, zurückgelehnte Pilotenposition
Video Retter-Auslösung rückwärts drehend, zurückgelehnte Pilotenposition

Ozone Oxygen 2
Der 5-Blatt-Rückencontainer
Ergonomisch nicht optimal; lange Verbindung zum Innencontainer
 

Skywalk Cult XC DHV GS-03-0370-08

                       

Die Skywalk-Cult-Serie hat sich in den letzten Jahren gut auf dem Markt etabliert. Das XC hat den Rettungsgerätecontainer unter dem Sitz (Bottom-Container) und einen serienmäßigen Beinstrecker. Diese Kombination ist durchaus problematisch, weil der Beinstrecker vor die Container-Öffnung geweht und die Auslösung des Retters blockiert werden kann. Vor einigen Jahren war dies, mit einem anderen Gurtzeug, vermutlich der Grund für einen tödlichen Unfall (Unfallbericht).
Skywalk hat den Beinstrecker beim Cult XC aus diesem Grund mit einer Trennvorrichtung versehen. Mit dem Auslösen des Rettergriffs trennt sich der Beinstrecker einseitig vom Gurtzeug. Container und Griff kommen ohne Klett aus. Das Kunststoff-Splintsystem für Container-Verschluss und Beinstrecker-Trennung ist etwas kompliziert und verlangt stets ein wachsames Auge auf die Betriebsanleitung.
Der Auslösegriff beim Cult XC ist weit vorne platziert. In zurückgelehnter Position hatten die Versuchspersonen teilweise Mühe, an ihn heranzukommen. Vorwärts drehend gelang dies noch ganz gut. Rückwärts drehend, von der G-Kraft nach hinten gepresst, war das nicht mehr so einfach. Der Griff befand sich nur noch knapp in Reichweite des Piloten. Die Auslösung selbst war in allen Lagen problemlos, die relativ kurze Verbindung Griff-Innencontainer hätte ein sehr effektives Wegschleudern ermöglicht. Das Trennsystem des Beinstreckers arbeitete einwandfrei. Bei allen Versuchen wurde der Beinstrecker zuverlässig abgetrennt und hätte die Retterauslösung nicht behindert.
Video Retter-Auslösung vorwärts drehend, zurückgelehnte Pilotenposition
Video Retter-Auslösung rückwärts drehend, zurückgelehnte Pilotenposition

 

Das Cult XC von Skywalk
Der 5-Blatt-Container des Cult XC
Relativ kurze Verbindung Griff-Innencontainer
 

Zwischenschnitt: Test mit fixiertem Beinstrecker

                        

Nach dem Test des Cult XC wollten wir es wissen: Wie würde sich ein fixierter, nicht trennbarer Beinstrecker verhalten, bei einem Gurtzeug mit Bottom-Container. Würde der Test das Ergebnis der Unfalluntersuchung bestätigen und den Konstruktionsaufwand der Trennvorrichtung rechtfertigen?

Wir montierten einen Beinstrecker an ein Gurtzeug mit Bottomcontainer. Bei den zwei durchgeführten Versuchen war das Ergebnis eindeutig: Der Beinstrecker wurde vor die Containeröffnung geweht, der Retter fiel bei der Auslösung durch den Beinstrecker. Dem Piloten wäre es nicht mehr möglich gewesen, den Rettungsschirm wegzuschleudern.

Video: Retterauslösung bei nicht trennbarem Beinstrecker

Der vom Beinstrecker gefangene Retter; Lebensgefahr!

Skyline Pure EAPR-GZ-7175/09

                           

Das Skyline Pure sorgte zunächst bei der Identifizerung für Verwirrung. Im Gurtzeug befand sich eine Musterprüfplakette mit DHV-Gütesiegelnummer. Es zeigte sich jedoch, dass diese Nummer beim DHV einem 2006 geprüftem Vorgängermodell zugeordnet war, mit anderem Rettungsgerätecontainer. Die Recherche ergab, dass das aktuelle Pure, so wie wir es beim Auslösetest hatten, bei der EAPR mustergeprüft worden ist.

Der Retter ist beim Pure in einem Tube-Container untergebracht, der nach seitlich/unten öffnet. Auch Skyline hat sich von Klettverschlüssen an Griff oder Container gänzlich verabschiedet.
Beim ersten Auslösetest gelang es der Versuchsperson nicht den Retter (Sup Air M) aus dem Container zu ziehen. Der Retter hatte sich verklemmt. Wir montierten deshalb eine Messvorrichtung mit Datenlogger, um die Auslösekräfte aufzuzeichnen. Zweiter Versuch: Die Auslösung gelingt, jedoch nur unter maximalem Kraftaufwand. Der Logger zeichnet knapp unter 20 daN auf (~ 20 kg).
Die Versuchsperson, ein durchtrainierter Sportler, war nur ganz knapp in der Lage, diese Kraft aufzubringen. Weitere Tests hatten folgende Resultate:
Zog der Pilot intuitiv am Griff der Rettung (siehe auch Absatz "Auslöserichtung"), erfolgte die Zugrichtung schräg nach oben. Das größere der beiden Test-Rettungsgeräte (Sup Air M) konnte in dieser Konfiguration nicht, bzw. nur sehr schwer aus dem Außencontainer gezogen werden. Dies gelang erst, als die Versuchsperson das intuitive Ziehen aufgab und gezielt andere Zugrichtungen ausprobierte. Bei seitlichem Zug kam der Retter dann heraus.
Bei der kleineren Rettung (Turnpoint Incase 130) trat das Problem nicht auf. Die Versuche hatten bei zwei verschiedenen Piloten das selbe Ergebnis.
Der DHV hat den Hersteller Skyline und die Prüfstelle EAPR über das Ergebnis der Versuche informiert. Das Gurtzeug wird, soweit dem DHV bekannt ist, von zwei anderen Herstellern in Lizenz gefertigt. Pro Design Modell Hero, U-Turn Modell IQ 4.

Update 9.3.2011
Treffen Fa. Skyline und DHV in der DHV-Geschäftsstelle. Skyline hatte verschiedene Rettungsgeräte mitgebracht, um das Auslöseverhalten in ihrem Gurtzeug Pure 08 zu demonstrieren. Ergebnis:
Bei Rettungsgeräten, die eine Einschlaufung des Griffes direkt an der Stirnseite des Innencontainers erlauben, traten keine Auslöseprobleme auf, unabhängig von der Größe des Retters.
Beim getesteten Sup Air M (und anderen bauähnlichen Rettungsgerätemustern) ist die Einschlaufung für Tube-Container an der Oberseite des Innencontainers, nahe der Stirnseite angebracht. Diese Position, verbunden mit dem relativ großen Volumen des Retters, kann zu einem Verkanten des Innencontainers führen.
Das Auslöseproblem beschränkt sich auf relativ großvolumige Rettungsgeräte, bei denen sich die Griff-Einschlaufung  an der Oberseite des Innencontainers befindet.
Skyline bietet allen Haltern, die das Gurtzeug Pure 08 mit einem solchen Rettungsgerät kombiniert haben, eine kostenlose Überprüfung, ggf. Modifikation bzw. Tausch des Innencontainers an. Kontakt: www.skyline-flightgear.de

Video Retter-Auslösung vorwärts drehend, aufrechte Pilotenposition (Sup Air M)
Video Retter-Auslösung vorwärts drehend, aufrechte Pilotenposition (Incase 130)
Video Retter-Auslösung rückwärts drehend, aufrechte Pilotenposition (incase 130)

Skyline Pure 08
Der Tube/Bottom-Container des Pure, mit der steifen "Oberlippe"
Verbindung Griff-Innencontainer
Messgerät mit Datenlogger zur Messung der Auslösekraft
Schlechte Karten: Bei Zugrichtung schräg/oben war eine Auslösung nicht möglich
Erst bei bewusstem Zug zur Seite kam der Retter frei

Icaro Energy Light DHV GS-03-0328-06

                        

Das Icaro Energy Light wurde 2006 vom DHV mustergeprüft. Die Konstruktion des Außencontainers wird in gleicher Form bei anderen Gurtzeugen von Woody Valley und Swing verwendet.  Klett findet sich weder an der Griffbefestigung noch am Containerverschluss. Der Tube-/Bottomcontainer öffnet nach seitlich/unten. Beim Energy Light fällt auf, dass das gesamte Innere des Container sehr glatt und faltenfrei ist. Auch im Bereich der Containerblätter gibt es keine harten Kanten, Hohlräume oder Falten, in welchen sich der Rettungsschirm verkanten könnte. Dieses saubere Konstruktion zahlt sich aus. Die Tests verliefen einwandfrei, in keiner Konfiguration gab es Probleme. Der nach unten abgeschrägte Schnitt des Container lässt den Retter mit wenig Widerstand "herausflutschen". Die Länge der Vebindung Griff-Innencontainer ist akzeptabel.

Video Retter-Auslösung vorwärts drehend, aufrechte Pilotenposition
Video Retter-Auslösung vorwärts drehend, zurückgelehnte Pilotenposition
Retter-Auslösung rückwärts drehend, kein Video vorhanden

Das Icaro Energy Light
Bottom/Tube-Container mit abgeschrägtem Innenleben
Durchschnitt: Länge Griff-Innencontainer
 

Advance Impress 2+ EAPR-GZ-7072/08

                            

Natürlich durfte ein modernes leistungsoptimiertes Streckenfliegergurtzeug mit Beinsack im Test nicht fehlen. Das Impress 2+ ist bei der EAPR nach LTF geprüft und das wohl verbreitetste Gurtzeug dieses Typs. Advance hat, ähnlich wie beim Axess 2 Air, einen Tubecontainer konstruiert, der seitlich öffnet, aber schräg nach unten geschnitten ist. Der Verschluss erfolgt über drei Kunststoffsplinte, statt mit Klett ist der Griff in einer Stoff-Aussparung fixiert. Auch Advance achtet darauf, dass die Container-Innenseite völlig glatt und frei von Kanten, Ecken und Hohlräumen ist.  Vorwärts- oder rückwärtsdrehend war die Auslösung sehr einfach und schnell. Auch in maximal liegender Position konnte keine Einschränkung der Auslösbarkeit festgestellt werden. Die Länge Griff- Innencontainer ist durchschnittlich.

Video Retter-Auslösung vorwärts drehend, zurückgelehnte Pilotenposition
Video Retter-Auslösung rückwärts drehend, zurückgelehnte Pilotenposition

Das Advance Impress 2+ mit Beinsack
Der Tube-Container des Impress 2+
Durchschnittliche Länge:die Verbindung Griff-Innencontainer
 

Frontcontainer

                       

Die Flugschule Chiemsee hatte uns einen leichten Sup-Air Frontcontainer mit der kleinen Turnpoint Incase 95-Rettung (1,3 kg) mitgegeben. Wir testeten diesen Frontcontainer, eingehängt an den Hauptkarabinern, sehr ausgiebig mit den verschiedenen Gurtzeugen. Aus Unfallberichten wissen wir, dass Frontcontainer sowohl offensichtliche Vorteile haben, es aber auch Hinweise auf systembedingte Nachteile gibt. Der Griff im Blickbereich des Piloten ist ein solcher Vorteil, schlechte Erreichbarkeit desselben, bei zurückgelehnter Pilotenposition, ein Nachteil.
Unsere Versuche hatten folgende Ergebnisse:

1. Bei der Simulation einer Steilspirale (vorwärts drehend) zeigte sich der Frontcontainer ausgesprochen benutzerfreundlich. Der Griff war sofort gefunden, die Auslösung, dank der extrem kurzen Verbindung Griff-Innencontainer, erfolgte blitzschnell.
Video, Frontcontainer, vorwärts drehend, Standardgurtzeug
Video, Frontcontainer, vorwärts drehend, Liegegurtzeug

2. Simulation "absatten" mit Verhänger (rückwärts drehend): In dieser Konfiguration wirken die Fliehkräfte so auf den Piloten ein, dass es ihn im Gurtzeug nach hinten drückt. Die Armbewegung zum Greifen des Auslösegriffs und das Herausziehen des Innencontainers müssen gegen diese Kräfte erfolgen. Die aufzuwendende Kraft ist bei 4 G viermal höher als im stationären, unbeschleunigten Zustand. Hier zeigten sich teilweise ernsthafte Probleme, die Berichte aus der Praxis bestätigen.

In aufrechter Pilotenposition (und entsprechender Gurtzeugeinstellung) ist der Effekt des Nach-hinten-gedrückt-werdens nicht so stark ausgeprägt. Die Versuchspersonen konnten den Rettungsschirm erfolgreich auslösen, wenn auch immer unter erheblich größerem Kraftaufwand.

Bei recht lockerer Einstellung der Schultergurte (zurückgelehnte Pilotenposition), wird der Oberkörper weit nach hinten gedrückt. Und zwar so weit, dass bei unseren Versuchspersonen die Armlänge gerade noch ausreichte, um ganz knapp an den Griff des Retters zu kommen. Personen mit kürzeren Armen könnten in dieser Situation nicht mehr in der Lage sein, den Griff zu erreichen. Mit dem Fassen des Griffes ist es aber noch nicht getan.
Der weit nach vorne gestreckte, im Handgelenk abgewinkelte Arm, muss nun, in einer weiteren Vorwärtsbewegung, den Retter aus dem Container ziehen. Das ging bis an die Grenze dessen, was unsere Versuchspersonen kraftmäßig zu leisten vermochten. Und auch, als der Container offen und der Retter frei gegeben war, gab es noch eine Hürde zu bewältigen. Denn die G-Kraft presst das Rettungsschirmpäckchen massiv gegen den Körper des Piloten. Dieser muss in einer letzten Armbewegung nach vorne den Retter vom Körper weg bekommen und dann seitlich in den Luftraum werfen. Ein echter Kraftakt und das mit einer Leichtrettung von 1,3 kg Gewicht!

Video, Frontcontainer, rückwärts drehend, Standardgurtzeug, aufrechte Pilotenposition
Video, Frontcontainer, rückwärts drehend, Standardgurtzeug, zurückgelehnte Pilotenposition

Dürfte nicht kürzer sein; die Armlänge reicht gerade bis zum Griff
Die G-Kraft presst das Päckchen an den Körper des Piloten

Was sonst noch auffiel

Auffinden des Griffes
Auch unter G-Last ist der Auslösegriff am Gurtzeug da, wo er sonst ist. Aber fast immer haben die Versuchspersonen erst einmal daneben gegriffen. Der Grund: Die G-Last wirkt auch auf den zum Griff fassenden Arm und zieht/drückt diesen in ihre Wirkrichtung. So kommt es, dass die Armbewegung, die ohne Beschleunigungskräfte direkt zum Griff führt, bei G-Belastung eine Handbreit daneben liegt. Die Piloten mussten oft im Bereich des vermuteten Griffes herumtasten, bis sie diesen gefunden hatten.

Position des Griffes
Es hat sich gezeigt, dass die Versuchspersonen den Griff intuitiv in dem Bereich gesucht haben, der mit dem gestreckten oder fast gestreckten Arm erreicht wird. War der Griff am Gurtzeug so hoch angebracht, dass zum Erreichen ein Anwinkeln des Armes notwendig war, fiel das schnelle Auffinden schwerer. Ein Video zeigt dies sehr eindrücklich. Der Pilot tastet lange in dem Bereich herum, den er mit dem gestreckten Arm erreicht (und zieht dabei die nicht eingehängte Rettungsgeräte-Verbindungsleine heraus). Erst nach gefühlten 500 m Spiralsturz beginnt er weiter oben zu suchen, bis er den Griff schließlich findet.

Video: Die lange Suche nach dem Auslösegriff

Für die Praxis bedeutet dies: Es ist extrem wichtig, sich mit der Position des Retter-Griffes an seinem Gurtzeug vertraut zu machen. Wenn das der Fall ist, z.B. mittels eines probeweisen Hingreifens bei jedem Flug, wird man unter G-Last vielleicht zuerst knapp daneben greifen, aber nicht in einem völlig anderen Bereich suchen und wertvolle Sekunden verschenken.

Zugrichtung
Die Versuche am G-Force-Trainer haben interessante Erkenntnisse zur Richtung des Zuges am Retter-Griff erbracht, die vom Piloten intuitiv gewählt wird.
Unabhängig davon wo sich der Griff befindet; die Versuchspersonen haben immer die Zugrichtung gewählt, die durch das Anwinkeln des Unterarms vorgegeben ist. Ziehen eben.  Auffällig dabei: Wenn die Auslösung des Retters durch diese Bewegung nicht sofort erfolgte, wurde zunächst die Zugkraft erhöht. Erst wenn auch dies nicht zum Erfolg führte, versuchten die Piloten durch Änderung der Zugrichtung die Auslösung zu erreichen. Das legt folgenden Schluss nahe: Egal wo der Griff positioniert ist, die Auslösung des Retters aus dem Container sollte mit einer einfachen Zugbewegung möglich sein. Verlangt die Auslösung einen anderen Bewegungsablauf, z.B. eine koordinierte Seitwärtsbewegung mit dem Arm, scheint dies vom Piloten nicht schnell intuitiv umsetzbar zu sein.

Zusammenfassung

Wirkung der G-Kräfte
4 G sind eine Menge Holz für einen G-Force-Untrainierten, wenn er dabei einen koordinierten Bewegungsablauf, wie eine Rettungsgeräteauslösung, vornehmen muss. Ich selbst empfand es so, beim Test mit dem sehr funktionalen Advance Axess 2 Air: Beim Auffinden des Griffes und Herausziehen des Retters war ich mit den notwendigen Abläufen voll gefordert. Zusätzliche Anforderungen an die Motorik hätte ich wahrscheinlich nicht gemeistert. Das gilt besonders für die Richtung des Zuges am Griff. Unter der Last von 4 G eine andere als die durch Griffanbringung und Anatomie vorgegebene Zugrichtung wählen zu müssen ist sehr schwierig. Bei Zug am Griff muss das Ding rausflutschen, groß nachdenken, in welche Richtung gezogen werden muss, ist nicht drin!

Bei körpernaher Anbringung des Retters waren die Auswirkungen der G-Kräfte auf den Auslösevorgang zwar zu spüren, aber kein echtes Problem. Anders bei körperferner Anbringung (Frontcontainer). Hier wirkten sich die Kräfte sehr viel stärker aus.  

Außencontainer-Konstruktionen
Bei Rückencontainern und reinen Bottomcontainern fällt der Retter bei Zug am Griff konstruktionsbedingt von selbst heraus. Anders bei Tubecontainern. Hier muss aktiv herausgezogen werden. Die Versuche haben gezeigt, dass eine völlig glatte und weiche Konstruktion von Container-Innenseite und Container-Verschluss von großer Wichtigkeit ist. Jede Ecke, Kante, Falte, jeder Hohlraum kann die Auslösbarkeit beeinträchtigen, im schlimmsten Fall zu einem Blockieren führen. Bei Probeauslösungen (Kompatibilitätsprüfung) sollte unbedingt auf diesen Punkt geachtet werden. Schwergängigkeit bei der Auslösung, z.B. weil der Retter über eine harte Kante am Containerverschluss gezogen werden muss, sollte man nicht tolerieren.
Frontcontainer sind im Normalfall sehr bedienerfreundlich, können aber zum echten Problem werden, wenn der Pilot in weit zurückgelehnter Position fliegt. Er kommt dann u.U. nicht mehr an den Griff heran. Piloten, die ihren Rettungsschirm im Frontcontainer platziert haben, sollten dies unbedingt beachten.

Verbindung Griff-Innencontainer
Dieser Punkt ist sehr wichtig. Besonders die Problematik des "Retterfraßes" (DHV-Info-Artikel siehe hier) zeigt, dass ein energisches Wegschleudern des Retters entscheidend ist. Das geht aber nur mit einer möglichst kurzen Verbindung vom Griff zum Innencontainer. Die Gurtzeuge im Test hatten, bis auf das Ozone Oxygen 2, eine akzeptable Länge dieser Verbindung. Vorbildlich die Lösung beim Advance Axess 2 Air, mit dem auf das Gurtzeug optimierten Innencontainer. Zu der technischen Lösung, eines zum Gurtzeug zugehörigen Innencontainers, gibt es einen ausführlichen DHV-Info-Artikel hier.

Optimierung der Gurtzeugentwicklung mit dem G-Force-Trainer
Wir wissen, dass außer Kontrolle geratene Drehbewegungen (Klapper, Verhänger, Pilot vertwistet, Steilspiralen) die häufigsten Situationen für Retterauslösungen sind. Deshalb sollten Gurtzeuge diesbezüglich hundertprozentig funktionieren. Der G-Force-Trainer würde Herstellern eine hervorragende Möglichkeit bieten, ihre Produkte zu optimieren.

Für Gleitschirmpiloten....
bietet Thomas Grabners G-Force-Trainer eine einzigartige Möglichkeit, sich gefahrlos an höhere G-Belastungen heranzutasten. Nicht nur, um sich auf Steilspiralen oder Freestyle-Manöver vorzubereiten. Auch um zu lernen, unter G-Last richtig zu atmen, den Überblick nicht zu verlieren und die erforderlichen Entscheidungen zu treffen. Denn auch wer mit diesen Manövern nichts am Hut hat, kann in die Situation kommen, in einer unkontrollierten Drehbewegung richtig handeln zu müssen. Und die zusätzliche Möglichkeit, Rettungsgeräteauslösung unter wirklich realistischen Bedingungen zu üben, ist ein großer Sicherheitsgewinn.

                          

                                       "Operator" Thomas Grabner

Das DHV-Team findet Thomas G-Force-Trainer absolut empfehlenswert und wünscht ihm regen Zuspruch von der Pilotenseite und viel Erfolg.

Dank an Thomas Grabner, Boris Kalter, Ben Liebermeister, Reiner Brunn, Peter Wild und das Team der Flugschule Chiemsee.

Karl Slezak
DHV Sicherheit und Technik