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Deutscher Gleitschirm- und Drachenflugverband e.V.

DHV

Sturm am Tegelberg

Am Sonntag, 14.6.09, spätnachmittags, kam es in Teilen des bayerischen Voralpen- und Alpenraumes, zu einem extremen Windereignis. Im Fluggebiet Tegelberg gerieten dadurch 13 Gleitschirmflieger in eine Notlage, weil sie von starken Windböen erfasst wurden. Sechs davon mussten von der Bergwacht aus Bäumen geborgen werden, die anderen konnten in teilweise alpinem, unwegsamen Gelände notlanden. Glücklicherweise kam es nur zu ein paar leichten Verletzungen.

Wir haben einige Pilotenberichte zusammengetragen, Kommentare örtlicher Fluglehrer sowie eine meteorologische Re-Analyse, um das Ereignis im Nachhinein zu beleuchten.

Bericht eines Piloten
Wir kamen um 14.00 am Tegelberg Landewiese an. Die Bedingungen zu dem Zeitpunkt sahen sowohl unten als auch oben, soweit ich das beurteilen kann, gut aus. An der Landewiese wehte ein mäßiger aber nicht zu starker Wind, oben in der Luft sah man zwar, dass der Wind relativ kräftig aus West wehte, die Schirme machten aber auch in Richtung Schloss immer Vorwärtsfahrt. Um kurz vor 15.00 bin ich dann oben raus gestartet. Der Flug war total ruhig und es trug fast überall. Keinerlei Turbulenzen, es fühlte sich an wie Hangsoaren bei laminarem Wind. Erst als ich dann gegen 16.45 zum Landeplatz runter wollte merkte ich vor der Hornburg, dass ich ein Problem habe, die Vorwärtsfahrt war weg und ich registrierte, dass ich anfing rückwärts zu fliegen. Ich bin dann mehrere Minuten beschleunigt mit angelegten Ohren geflogen und kam dabei a) kaum vorwärts und b) kaum runter. Ich hab einmal kurz eine Steilspirale und einen B-Stall versucht. Beides führte zwar zu höheren Sinkwerten, blies mich blöderweise aber auch verstärkt in die falsche Richtung. Also wieder zurück zu angelegten Ohren und Beschleuniger. Mittlerweile war ich soweit, dass ich mich mit einer Baumlandung abgefunden hatte, Ich wollte nur noch runter. Unter mir lag eine Straße, eine Wiese war in näherer Umgebung nicht mehr in Sicht. Ich habe die Ohren wieder aufgemacht und bin aus dem Beschleuniger raus. Sofort ging der Schirm nach oben und nach hinten weg und es blies mich in die Bäume neben der Straße wo ich dann ca. 10 m über dem Boden hing. 15 min später war ich dann, dank der wirklich super organisierten Bergrettung und einem Helfer, wieder auf dem Boden. Mein Schirm hat die Aktion leider nicht überlebt (am Ende waren es zwei) aber wenigstens ist mir und den anderen betroffenen Piloten nichts passiert.

Bericht eines weiteren Piloten (mit GPS-Tracklog)
Vom Startplatz (1) flog ich unbeschleunigt mit offenen Bremsen mit stetigem Steigen (GPS: 7-10 km/ über Grund. Bei Punkt 2 begann es leicht zu sinken und ich drehte nach links Richtung Forggensee, wo ich andere Schirme sinken sah. Ich flog immer noch unbeschleunigt mit offen Bremsen und es ging vorwärts. Kurz vor Punkt 3 wurde ich langsamer und beschleunigte zuerst halb, dann voll, versuchte mit Ohrenanlegen etwas runterzukommen, wurde natürlich langsamer und machte die Ohren wieder auf. Dann bin ich wieder voll beschleunigt geflogen. Jetzt allmählich merkte ich, dass da was faul ist und wurde nervös, auch weil die Wolken sich vor mir kurzzeitig etwas verdunkelten. Richtung St. Colomann sanken die anderen, dort wollte ich auch hin. Bei Punkt 3 wechselte ich zwischen Ohren anlegen und voll beschleunigt fliegen und merkte mit angelegten Ohren war ich schneller, also ging es rückwärts. Ab da flog ich bis Punkt 4 voll beschleunigt rückwärts. Teilweise versuchte ich kurz, ob ich mit großen Ohren sinken würde, damit ich den Wald unter mir erreichen würde um den hinten erwarteten Leewalzen aus dem Weg gehen zu können. Ich hatte im laminaren Wind ja rund 20 Minuten Zeit zum überlegen, aber es funktionierte nicht. Ich hatte nur einen voll beschleunigten seitlichen Klapper (geschätzte 75 %), den ich im Sicherheitstraining gelernt habe und sofort flog ich wieder. Ich  bin ich dann normal auf einer Wiese gelandet. Auf dem letzten Baum vor der Wiese war auch noch ein Flieger, zu dem ich gleich hingegangen bin. Er war o.k. Nach 5 Minuten kam ein Bus, der die Bergwacht, die dort hinten auch stationiert ist, alarmierte. Sie waren in 5 Minuten da und ich konnte ihnen die Lage von drei Baumlandungen beschreiben. Ein weiterer Flieger war bereits im Bus und im Halblechtal nahmen wir noch zwei mit, die im Flussbett gelandet waren und von Klappern in Bodennähe erzählt haben.

 

Ein dritter Pilot schreibt:
Nach Flugzeit von über zwei Stunden plötzlicher Starkwind von West. Es gab keinerlei Ankündigung dafür, wie etwa kritische Wolken oder sonstige erkennbare Symptome. Ich wurde, rückwärts fliegend, von oberhalb des Schlosses über mehrere Kilometer nach hinten an den Jagdberg verblasen (nordöstlich der Hornburg) und bin dort im Wald eingelandet.

Ralf Antz, einheimischer Fluglehrer der 1. DAeC-Gleitschirmschule, hat das Geschehen vom Boden aus verfolgt. Hier sein Bericht:
Ca 1 1/2 Stunden vor dem Verblasen zogen sehr deutlich aus Westen kommend ausgedehnte Altocumulus floccus und noch deutlicher, Altocumulus castellanus mit guter Zuggeschwindigkeit auf. Die damit verbundene Labilisierung war deutlich! Gen Osten abziehend zeigten sich vereinzelte Lenticularis.
Mit der Wettervorhersage am morgen hätte eigentlich jeder Pilot gewarnt sein müssen.Deutlicher wurde das Ganze ca. 1 Std. vor der Verblasung: Ca. 15- 20 Schirme "hingen" großräumig im Luftraum vor dem Tegelberg mit guter Startüberhöhung rum. Da das Ganze auf Grund des  zunehmenden Windes kaum thermisch zu begründen war, hätte klar sein müssen, dass die "guten Flugbedingungen" der zunehmenden Labilisierung und dem zunehmenden Wind zuzuordnen sein mussten - letztlich kündigte die rasch aufziehende Bewölkung das überdeutlich seit längerer Zeit an.
Zu diesem Zeitpunkt traten einige Schirme dann den erfolgreichen "Nachhauseweg" an. Ich habe die Wetterentwicklung dann weiter aus dem Füssener Raum mit zunehmender Sorge beobachtet und bei mir gedacht:
"Hoffentlich wissen die Piloten, was sie da machen"....., ca. 30 - 60min später war's dann  zu spät.
Vor allem die Piloten, die gen Buching abflogen kamen in noch höhere Windgeschwindigkeiten hinein, die wohl gut jenseits der 40km/h lagen.
Ich vermute, dass die Windgeschwindigkeit in Bodennähe hier sogar noch deutlich zunahm.
Erschwerend für die Entscheidung rechtzeitig zu landen war wohl die große Pilotenzahl in der Luft. Wären es weniger gewesen, wäre der ein oder andere wohl schon früher abgeflogen. Spekulation, - aber die große Schirmzahl am Himmel verleitete wohl den ein oder anderen sich in trügerischer Sicherheit zu wiegen, weil ... man schließlich nicht alleine war.... ? und die anderen vielleicht besser wussten, dass alles doch irgendwie "ok" ist ... ... ?

Noch ein vierter, sehr lesenwerter Bericht hat uns erreicht, hier

Ein weiterer Bericht von der Flugschule Aktiv
Zum Wettergeschehen:
Die Windgeschwindigkeiten am Startplatz lagen zwischen 15 und 25 km/h. Ab den Mittagsstunden zogen hohe cirrusartig dünne Schichtwolken auf. Zeitweise verdichteten sich diese und man konnte an der Basis dieser Wolken selten auftretende Formen erkennen, die an einen Rührkuchenteig erinnerten.(Kurze Wellenform). 
Die Flieger kamen, wenn auch langsam, einigermaßen voran. Am Nachmittag (ca.16:30) kam von Westen her wieder nahezu wolkenloser Himmel auf uns zu. So wie es von unten aussah, nahm zu diesem Zeitpunkt der Wind in der Höhe leicht zu. Die meisten Piloten machten sich in Richtung Landeplatz auf. Nun war der Wind durch die leichte Zunahme bereits so stark geworden, dass die Piloten kaum noch Vorwärtsfahrt machten und fast 45 min brauchten um vom Tegelberg bis über den Landeplatz zu gelangen.
Als sie dann endlich überm Landeplatz waren hatten viele von ihnen noch immer eine beachtliche Höhe (ca.1.200 m über Grund). Eine weitere leichte Zunahme sorgte dann für das Chaos.
Die ersten Piloten fingen an rückwärts zu fliegen. Selbst die Piloten, die schon deutlich tiefer waren (zwischen 300 m und 170 m ü. Grund,) wurden nach hinten abgetrieben. Andere Piloten, die höher flogen, standen währenddessen weiterhin auf der Stelle. 
Auch wir sind an diesem Tag geflogen und es wurde in der Luft schnell klar, dass man nicht sonderlich schnell vorwärts kam. Was mich beim Fliegen besonders wunderte, war, dass es so viele Flieger gab, die ungeachtet der Windgeschwindigkeit sich recht weit nach hinten versetzen ließen. Zu diesem Zeitpunkt ( ca.15:00 Uhr) haben wir von der Flugschule Aktiv das kommerzielle Tandemfliegen eingestellt. Denn wenn es, ohne das die Sonne scheint, im Geradeausflug stetig nach oben geht, sollten bei jedem die Alarmglocken klingeln! Scheinbar hatten die meisten die Alarmanlagen ausgeschaltet?
Unverständlich war die Haltung einiger Piloten, die mit aller Gewalt versuchten nach 15.30 Uhr noch zu starten. Ein Großteil dieser Piloten hätte auch bei guten Bedingungen am Tegelberg Probleme mit dem Start gehabt (Aushebeln am Start mit unkontrolliertem Abheben, Schleifende Piloten über den gekiesten Aufbauplatz usw.).
Respekt den Piloten, die es vorzogen mit der Bahn hinunter zu fahren. Dies waren immerhin auch einige.

Wettervorhersage und Wetterentwicklung
Für Sonntag, 14.6.09 hatte der Segelflugwetterbericht stärkere Westwinde für ganz Bayern prognostiziert, 40 km/h auf 2.000 m, 55 km/h auf 3.000 m.

DHV-Wetter vom So. 14.06.09 - 7h
A l p e n n o r d s e i t e:
So.: Meist freundlich bis sonnig, nachmittags ganz im Westen etwas wolkiger und teils Schauer-/Gewitterneigung.

Höhenwind Alpennordseite:
So.: In der Westhälfte recht kräftiger W-Wind, sonst meist schwacher bis mäßiger West-Wind. Lage genau checken.

Die GFS-Windprognose für die 850 hPa-Druckfläche (1.500 m) erwartete für den mittleren und westlichen Teil des Nordalpenrandes Windgeschwindigkeiten von 10 kt (6.00 Uhr), 15 kt (12:00 Uhr), 20 kt (18:00 Uhr), 30 kt (24:00 Uhr)

Meteorologische Analyse
Aus den Prognosen ging eine deutliche Zunahme des Westwindes im Tagesverlauf hervor. Bis in den frühen Nachmittag machte sich der Westwind in tieferen Lagen nicht kritisch bemerkbar, während in hohen Schichten der Starkwind gut durch die auftretenden Altocumulus Lenticularis, in mittlerer Höhe durch eine wellige, geschliffene Schichtbewölkung und zerrissene Cumuli markiert wurde. Danach nahm der Wind stetig zu. Die den Höhenwind in tieferen Lagen abschwächenden Inversionen waren aufgrund der thermische Durchmischung mehr und mehr abgebaut, so dass der Starkwind zunehmend auch in bodennäheren Schichten spürbar wurde. Den Rest erledigte dann vermutlich die auffällige Labilisierung, die von vielen Beobachtern aufgrund des Wolkenbildes 1-2 Stunden vor dem Vorfall beobachtet wurde. Dieser konnten die bis dahin noch wirksamen Sperrschichten nicht widerstehen. Der Höhenwind hatte nun freie Hand und griff innerhalb kürzester Zeit bis in bodennahe Schichten durch. Wer nicht rechtzeitig gelandet war, musste bei Windwerten bis an die 60 km/h, entweder rückwärts fliegen oder sein Heil in der Flucht mit dem Wind suchen.

Die Lentis waren bereits am Vormittag für einige Zeit sichtbar.....
.....und verschwanden dann wieder
Quellungen, von der Höhenströmung plattgedrückt und glattgeschliffen
Cumulus floccus, Zeichen von Labilisierung
Seltsame Wolkenbilder wurden im bayerisch/tiroler Alpengebiet um die Mittagszeit überall beobachtet. In der Höhe hatte sichtbar der Wind seine Finger im Spiel.
 

Was man daraus lernen kann
Wetterbeobachtung
Die GFS-Windprognose hatte für diesen Tag für 1.500 m eine Verdreifachung des Windes von 10 kt auf 30 kt angekündigt und auch die meisten anderen Wetterberichte hatten den auffrischenden Westwind prognostiziert. Mit dieser Information im Hintergrund muss die Beobachtung der im „Wind herumstehenden“ Gleitschirme ein eindringliches Warnsignal sein. Denn bei der wahrscheinlichen, weil prognostizierten, Zunahme des Windes ist mit dem langsamen Fluggerät Gleitschirm schnell der kritische Bereich erreicht. Zusätzlich hätten die zu beobachtenden Quellungen und das zeitweilige Verdunkeln des westlichen Horizonts einen vorsichtigen Piloten die Möglichkeit einer präfrontalen Labilisierung in den Sinn bringen können, auch wenn für diesen Tag keine Kaltfront, wohl aber vereinzelte Gewittertätigkeit angekündigt war. Die Vorstellung, auf dem Weg zum Landeplatz mit minimaler Vorwärtsfahrt ständig in Richtung der sich ausbildenden Quellungen zu steigen, ist eigentlich ein guter Anlass, einen geordneten Rückzug vom Startplatz - mit der Bergbahn - anzutreten.
Starker Höhenwind ist für viele Piloten kein Grund, auf`s Fliegen zu verzichten.  Solange die Inversionen halten, geht das meistens gut. Der vorliegende Fall hat gezeigt, dass darauf keineswegs immer Verlass ist.

Flugtaktik 
Aus den aufgezeichneten Tracks der notgelandeten Piloten geht hervor, dass sie von einem reinen Westwind verblasen worden waren. Es ging mit 5-10 km/h rückwärts. Viele haben zunächst versucht, mit angelegten Ohren und Beschleuniger sowohl tiefer als auch vorwärts zu kommen. Die meisten hielten an ihrem Plan fest, den Tegelberg-Landeplatz anzufliegen. Der Höhenverlust und das Rückwärts-Fliegen mit den angelegten Ohren brachten diese Flieger in einen Bereich, östlich der Hornburg, wo ein Taleinschnitt eine zusätzliche Beschleunigung des Windes verursachte. Dort ging dann auch mit offenem, voll beschleunigtem Schirm nichts mehr.
Meist ist es in einer solchen Situation sinnvoller, hoch und mit voll beschleunigtem Schirm (soweit es die Turbulenzen zulassen) soweit luvseitig vorzufliegen, bis sicheres Landegelände unter einem ist. Dann erst Ohren anlegen oder eine andere Abstiegshilfe wählen. Einige Piloten haben das an diesem Tag getan und konnten sicher landen. Bei geeignetem Gelände ist auch die Flucht mit dem Wind eine Option. Diese Wahl hat jedoch keiner der betroffenen Piloten am Tegelberg getroffen. Aus gutem Grund: Denn mit dem Wind fliegend hätten mehrere hohe Gebirgsketten überquert werden müssen, landbares Gelände wäre erst nach 20-25 km erreicht worden.
Ein sehr erfahrener einheimischer Flieger registrierte den auffrischenden Wind frühzeitig, hangelte sich, etwa 10 Minuten, bevor das große „Verblasen“ einsetzte, über den Buchenberg und der anschließenden Bergkette Richtung Halblech nordöstlich vor, bog dort nach Osten ab und bretterte, mit einem Groundspeed von bis zu 92 km/h Richtung Osten, wo er in der Nähe von Bad Kohlgrub landete.

Aus den Pilotenberichten geht es hervor; irgendwann, rückwärts fliegend auf hohe Gebirgsflanken zutreibend, will man nur noch runter. Nur zu gut kann man sich ausrechnen, was passieren wird, wenn einen der Wind an den nächsten Berg treibt. Man würde im dynamischen Aufwind nach oben gerissen und anschließend leeseitig heruntergespült werden. Diese lebensgefährliche Situation muss unbedingt verhindert werden. Wenn nötig Höhe abbauen, z.B. mit einem B-Stall und dann bewusst eine Baumlandung vornehmen. Die Chancen, diese heil zu überstehen sind ungleich höher, als das oben beschriebene Szenario.

Viele der in Not geratenen Gleitschirmflieger waren aus dem gelb markierten Bereich in das dahinter liegende Tal verblasen worden.
Die Topografie zeigt hier einen nach Westen offenen Taleinschnitt, der bei Westwind einem Düseneffekt erzeugt und damit zu einer Erhöhung der Windgeschwindigkeit führt.
Ein ähnliches Bild am Eingang des Halblechtals, auch hier strandeten einige Gleitschirmflieger im Bachbett oder in den Bäumen.

Karl Slezak, DHV-Ausbildung/Sicherheit

Bilder: Heinz Pluszynski, Alexander Haidauer, Michael Neher, baschi, waskukstdu,