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Deutscher Gleitschirm- und Drachenflugverband e.V.

DHV

Unfallgefahren beim Probefliegen

In den 12 Monaten von August 2000 bis August 2001 verunglückten vier Gleitschirmpiloten tödlich beim Probeflug mit einem neuen Gerät.
Gemessen an der Gesamtzahl der tödlichen Gleitschirmunfälle in diesem Zeitraum ist dies ein Anteil von 25 %.  Ein Prozentsatz der erschreckend hoch ist. Man stelle sich zum Vergleich vor, 1000 der knapp 4000 (Jahr 2001) im Straßenverkehr tödlich verunglückten Autoinsassen hätten die Probefahrt mit einem neuen Fahrzeug nicht überlebt.

Bei näherem Hinsehen lassen sich zwei Hauptursachen für Unfälle bei Probeflügen feststellen:

1. Probeflieger als Testpiloten
„Gleich mal alles durchtesten“ ist die Devise manches Probefliegers. Ausgestattet mit der Erfahrung des bisher geflogenen Gerätes wird dann munter spiralt, geklappt, wingovert und gleiches mehr. Böse Überraschungen bleiben dann gelegentlich nicht aus.
 „ Mit meinem Graffity (ein besonders gutmütiger Einsteigerschirm, Konstruktion Mitte der 90 er ) musste ich zum Einleiten der Steilspirale immer vorher mehrmals links und rechts aufschaukeln. Gleiches tat ich, als ich einen neuen 1-2 er zur Probe flog. Doch was dann passierte überraschte mich völlig. Der Schirm stürzte förmlich in die Spirale, es presste mich derart ins Gurtzeug dass mir fast die Luft wegblieb. Bei meinem alten Schirm musste ich zum Ausleiten nur die Innenbremse frei geben, schon wurde er langsamer. Jetzt versuchte ich dasselbe, aber der Schirm machte das Gegenteil, er beschleunigte. Eine ganze Zeitlang wusste ich nicht was ich tun sollte, bis mir der Hinweis- den Schirm über die Außenbremse „rausbremsen“-  aus einem Artikel im DHV-Info einfiel. Das war schwieriger als erwartet, aber schließlich gelang es. Als der Schirm wieder unter Kontrolle war blickte ich auf`s Vario und erschrak – ich hatte über 800 Meter Höhe verloren und keine Sekunde daran gedacht den Rettungsschirm zu werfen“.
Gerade noch mal gut gegangen!
Weniger Glück (und Höhe) hatte ein Gleitschirmflieger, der sich einen neuen Leistungsintermediate zu einem Probeflug auslieh. Der 40- jährige mit langjähriger aber extrem unregelmäßiger Flugerfahrung (ca. 5 Flüge im Jahr) fiel vom Start weg durch große Unsicherheit beim Umgang mit dem Gerät auf. Zeugen beobachteten ein provoziertes Einklappen mit anschließenden weiten Vorschießen der Kappe. Schließlich leitete der Pilot während des Fluges bei ruhigen Bedingungen eine Steilspirale ein, die er bis zum Boden nicht mehr ausleitete.

In beiden Fällen haben die Piloten fundamentale Sicherheitsregeln für das Erfliegen des Flugmanövers Steilspirale unbeachtet gelassen. (Alles zu diesem Thema unter www.dhv.de/deutsch/sicherheit)
Das gilt auch für jenen Piloten, der innerhalb eines Jahres gleich zweimal aus dem selben Grund unfallmäßig in Erscheinung trat.
Beim Wingovern mit neuen, zum Probefliegen ausgeliehenen Gleitschirmen kam es beide Male zum Einklappen mit Verhängen des Außenflügels. Der anschließende Spiralsturz endete einmal verletzungsfrei in den Bäumen, bei zweiten Vorfall verhalf der Rettungsschirm zu einem glimpflichen Ausgang.
Die Liste ließe sich fast beliebig fortsetzen. Zum Beispiel um jene Gruppe von 3 Freunden, die kurze Zeit nach der Ausbildung ihre braven Philous gegen je einen Bandit, Sigma 4 und Octane eintauschten. Einer der drei fand sich in der Kappe seines Gleitschirmes wieder, als er die Länge der Steuerwege austestete und feststellen musste, dass der Schirm doch bedeutend kürzere Steuerwege hatte als  sein bisheriges Gerät. Der zweite provozierte eine stabile Steilspirale die er nicht mehr ausleiten konnte und Nummer drei wollte mal einen ordentlichen beschleunigten Klapper machen was zu einem Verhänger mit Spiralsturz führte. Alle drei überstanden ihre Abenteuer dank des Rettungsschirmes unverletzt. Kurz danach tauchten sie geschlossen bei einem Sicherheitstraining auf.

2. Neuer Schirm in harter Thermik
Über ein Jahr war der Pilot nicht mehr geflogen. Jetzt, an einem der ersten schönen Frühjahrswochenenden sollte der gerade erstandene neue Schirm ausprobiert werden. Die Bedingungen am Nebelhorn waren mehr als sportlich. Überregionaler starker Nordostwind schuf großflächige Leebereiche, zudem betrugen die Steigwerte an diesem Tag bis 10 m/Sek.. Es kam wie es kommen musste. Die starken Turbulenzen überforderten Gerät und Pilot, beim Absturz aus 300 Metern Höhe zog sich der Pilot schwere Rückenverletzungen zu.
Tödlich endeten die Probeflüge von zwei älteren Piloten am Neunerköpfle und am Nebelhorn. Beide wollten von ihren etwas betagten Intermediates (Edel Space, Advance Epsilon 2) auf moderne dynamische 1- 2 er umsteigen. In stark thermischen Bedingungen klappten die Schirme massiv ein, die Piloten fanden beim Aufprall den Tod.

Sicherheitshinweise für`s Probefliegen

Realistische Selbsteinschätzung
Braucht man als wenigfliegender 64- jähriger einen akro- geeigneten Leistungsintermediate ? Ist der Wechsel zu einer Streckenflugmaschine mit DHV- Klassifizierung 2, sechs Monate nach der Schulung wirklich eine sinnvolle Entscheidung ? Hunderte von Unfällen mögen es sein, deren tiefere Ursache im Grunde der Einfluss menschlicher Eitelkeiten bei der Wahl des Gleitschirmes ist.
Grundlage der Geräteauswahl muss immer das realistisch eingeschätzte eigene Können sein, das eine hundertprozentige Beherrschung des neuen Schirmes erwarten lassen muss.

DHV- Testflugprotokolle gründlich lesen
Häufig wird Kritik an der Aussagekraft der DHV- Testflugprotokolle geäußert. Dabei erleichtern sie die Einschätzung der wichtigste Features eines Schirmes entscheidend. Ist das Modell besonders wendig oder eher träge, sind die Steuerwege lang oder kurz, der Steuerdruck niedrig oder hoch, ist das Klappverhalten eher weich und gedämpft oder hart und impulsiv, wird ein Frontklapper selbständig oder deutlich verzögert geöffnet, gibt es ein verzögertes Anfahren aus dem B- Stall oder ein Nachdrehen in der Steilspirale.
Und ganz allgemein; wie sind die sicherheitsmäßig wichtigsten Testflugmanöver; Einklappen, frontales Einklappen, Steilspirale, Steuerweg- und –druck  und B- Stall bewertet ? Jeder Gleitschirm erhält seine Gesamtbewertung nach den am höchsten klassifizierten Einzelmanövern. Da ist es ein Riesenunterschied, ob beispielsweise bei einem 1-2 er lediglich ein oder zwei weniger sicherheitsrelevante Flugmanöver zu dieser Einstufung geführt haben, oder ob es im Testflugprotokoll von 1-2 er Bewertungen nur so wimmelt.

Neue Besen kehren gut......
Und neue Schirme haben natürlich ihre besondere Faszination. Aber bei den alten kennt man die Tücken, falls vorhanden. Und die zeigen sich eigentlich immer im Laufe einer Saison. Da entpuppt sich dann das Modell das schon im Neuzustand nur unwillig bei Start hochstieg nach einigem Gebrauch als Sackflugkiste beim Windenschlepp. Da fällt ein Gerät bei Fortbildungskursen, Performance- oder –Sicherheitstrainings negativ auf, oder es zeigen sich Leinen- oder Tuchprobleme bei den ersten Serienchargen. Wer seinem Ego nicht immer das Allerneueste gönnen muss, trifft seine Wahl unter den Schirmen, die eine gewisse Bewährungszeit ohne Auffälligkeiten bestanden haben.

Mit kompetenten Leuten sprechen
Ahnung haben hier wirklich erfahrene Fluglehrer und besonders die Veranstalter von Performance- und -Sicherheitstrainings. Sie geben auf eine nette und freundliche Anfrage in der Regel auch gerne Auskunft.  Die oft befürchtete fehlende Objektivität von Fluglehrern bei der Geräteberatung („die empfehlen eh` nur das woran sie am meisten verdienen“) ist fast immer, von unrühmlichen Ausnahmen abgesehen, ein Vorurteil. Keine namhafte Flugschule kann und will sich das leisten. Dagegen hat sich schon mancher Fluglehrer den Mund fusselig argumentiert um einem Kunden das offensichtlich zu anspruchsvolle Gerät seiner Wahl wieder auszureden. Nicht immer gelingt das, mancher Kunde erweist sich als äußerst beratungsresistent. Anfang letzten Jahres weigerte sich ein Flugschulleiter, einem zu unerfahrenen Piloten einen mit 2 bzw. 2-3 klassifizierten Schirm zu verkaufen. Der Pilot holte sich das Gerät bei einem anderen Händler und stürzte wenig später, nach einem massiven Einklapper, tödlich ab.
Die Flugschule seines Vertrauens, wo man die empfohlenen Geräte aus eigener Flugerfahrung kennt und einschätzen kann, ist für Beratung und Verkauf die beste Adresse.

Betriebsanleitung lesen !
Betriebsanleitungen für Gleitschirme müssen die wichtigsten Informationen für den sicheren Betrieb des Fluggerätes enthalten. Dies wird vom DHV überprüft. Viele Handbücher halten sich sehr allgemein, einige sind aber hervorragende Informationsquellen für die besonderen Eigenschaften des beschriebenen Schirmes. Nicht zuletzt sagt ein mit Sachverstand angefertigtes „Manual“ auch viel über Seriosität und Kompetenz des Herstellers aus.

Probefliegen heißt nicht testfliegen !
Ausgestattet mit den eingeholten Informationen geht es dann an die Probeflüge. Optimal sind ein paar Starts am Übungshang, möglichst bei unterschiedlichen Windbedingungen. Dies gilt besonders dann, wenn das neue Gerät ein deutlich abweichendes Startverhalten hat als der bisher geflogene Schirm. Spielen im Starkwind, Groundhandling am Boden; - für den der`s beherrscht wohl die wichtigste Informationsquelle für das zu erwartende Verhalten des Schirmes in der Luft.
Der erste Höhenflug in ruhigen Flugbedingungen dient der Ermittlung des Normalflugverhaltens, also der „Alltagstauglichkeit“ des Schirmes. Steuercharakteristik und die Stabilität um Längs- und Querachse zeigen sich bei  moderaten Kurvenmanövern und mäßigem Rollen und Nicken. Das Ansprechen auf Gewichtssteuerung, das Verhalten beim Ohrenanlegen, Leichtgängigkeit und Wirksamkeit des Beschleunigers, Flareverhalten und Korrekturmöglichkeiten beim Landen sind ebenfalls einfache und aussagekräftige Manöver. Dieses Probeflugprogramm sollte ausreichen um festzustellen ob der Schirm hinsichtlich der Normalflugeigenschaften den Vorstellungen des Piloten entspricht.

Die Abstiegshilfen B- Stall und Steilspirale sollten nur bei genauer Kenntnis der Flugtechnik dieser Manöver erprobt werden. Viel sicherer und effektiver trainiert man diese Manöver über Wasser im Rahmen eines Sicherheitstrainings. Das gilt zwingend auch für größere seitliche und frontale Einklapper, hohe Wingovers und sonstige Spielchen, sowie für alle Arten von Strömungsabrissen. Immer häufiger erscheinen bei Sicherheitstrainings Piloten mit 2 oder 3 Probeflugschirmen. Das sind kluge Leute, denn nach dem Training der wichtigsten Manöver wissen sie welcher Schirm ihren Erwartungen, vor allem aber ihrem Können, wirklich entspricht.

Die Thermikflugeigenschaften sollten unbedingt in moderaten Aufwindbedingungen erprobt werden. Das Gefühl für das Verhalten des neuen Gerätes in Turbulenzen und das notwendige Maß an aktiver Pilotenreaktion stellt sich erst allmählich ein, eine Tatsache die von vielen Piloten in ihrer Bedeutung unterschätzt wird.

Ein Tipp zum Schluss, vom Leiter einer großen Flugschule
Probefliegen sollte man grundsätzlich mit dem vertrauten Gurtzeug. Der Wechsel des Gurtzeuges ist manchmal eine größere Umstellung für den Piloten als der Wechsel des Schirmes. Beides zusammen ist dann gelegentlich zuviel.
Ein ganz brauchbarer Leitsatz für`s Fliegen ist nämlich: “Niemals mehr als einen Faktor ändern“. Beim Probefliegen deshalb darauf achten, dass die anderen Parameter bekannt sind; Gurtzeug, Gelände, Flugmanöver, zu erwartende Flugbedingungen etc. Bewegt man sich hier im vertrauten Rahmen, bleiben genügend Kapazitäten um die erhöhte Konzentration die das unbekannte Fluggerät erfordert ohne Sicherheitsabstriche zu kompensieren.

Karl Slezak
Sicherheitsreferent