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Deutscher Gleitschirm- und Drachenflugverband e.V.

DHV

Offene Beingurte

Ende der 1990-er-Jahre ereigneten sich mehrere tödliche Unfälle weil die Piloten vergessen hatten, die Beingurte ihres Gurtzeuges vor dem Start zu verschließen. Die Piloten waren aus dem Gurtzeug gerutscht und zu Tode gestürzt.
Seit 1999 müssen alle vom DHV mustergeprüften Gleitschirm-Gurtzeuge eine Herausfallsicherung aufweisen, die bei Verschließen des Brustgurtes automatisch eine Fixierung des Piloten im Gurtzeug herstellt und ein Herausfallen ausschließen soll. Seit der Einführung dieser Systeme sind nur noch wenige Vorfälle von Flügen mit offenen Beinschlaufen bekannt geworden, meist mit älteren Gurtzeugen ohne die neuen Sicherungen, dabei kein tödlicher Unfall im deutschsprachigen Raum. Die Herausfallsicherungen funktionieren und haben ein kritisches Sicherheitsproblem weitgehend gelöst.

Bei allen Systemen besteht jedoch weiterhin die Gefahr, dass die Sicherung wirkungslos bleibt, wenn die Gurte des Gurtzeuges falsch angelegt werden.

Am 1. Juli 2006 kam es zu einem tödlichen Unfall durch ein fehlerhaftes Verschließen des Gurtzeuges. Ein schwedischer Pilot war bei einem Flug vom Elfer im Stubaital aus seinem Gurtzeug gefallen und beim Aufprall auf einem Gebäude tödlich verletzt worden.
Das Gurtzeug wurde, verbunden mit dem Schirm, in einwandfrei verschlossenem Zustand vorgefunden. Augenzeugen hatten jedoch beobachtet, dass sich der Pilot bereits kurz nach dem Start in senkrecht nach unten hängender Position in seinem Gurtzeug befand. Auch die Verletzungen des Piloten, u.A. starke Abschürfungen unter den Armen und im Bereich des Kinns, lassen darauf schließen, dass er längere Zeit mit seinem vollen Gewicht an Brustgurt und seitlichen Gurten hing.

Die Untersuchung des Unfallgurtzeuges durch das DHV-Sicherheitsreferat ergab, dass durch fehlerhaftes Führen der Beingurte ein Verschließen des Brustgurtes möglich ist und die Herausfallsicherung unwirksam bleibt. Der Pilot ist in diesen Fällen völlig ungesichert. Beim untersuchten Gurtzeug waren die Beingurte besonders lang eingestellt, was ein fehlerhaftes Führen der Gurte leicht möglich machte.
Das verwendete Gurtzeug hatte ein sog. „Get Up“-System, bei welchem keine separat zu verschließenden Beinschlaufen vorhanden sind. Der Verschluss der Beingurte erfolgt über die Schließen am Brustgurt.

Bild 1: Gurtzeug mit „Get Up-System“. Korrekt geführte Beingurte, beide zwischen den Beinen, ein Herausfallen ist nicht möglich.

 

Ein fehlerhaftes Führen der Beingurte und damit die Unwirksamkeit der Herausfallsicherung kann bei diesem System auf zwei Arten erfolgen:

 

 

Bild 2 und 3: Gurtzeug mit „Get Up-System“. Fehlerhaft geführte Beingurte. Beide Gurte werden seitlich an einem Oberschenkel vorbei geführt und mit dem Brustgurt verbunden. Keine Sicherung, Herausfallen leicht möglich.

 

 

 

Bild 4, 5 und 6: Fehlerhaft geführte Beingurte. Die Beingurte laufen beidseitig neben den Beinen. Der Pilot ist in den Zwischenraum, zwischen linkem und rechtem Beingurt „eingestiegen“. Keine Sicherung, Herausfallen leicht möglich.

Der schwedische Pilot muss auf eine der beiden möglichen Arten sein Gurtzeug fehlerhaft verschlossen haben. Er konnte sich dennoch 750 Höhenmeter in seinem Gurtzeug halten. Die Kräfte verließen ihn 50 Meter über dem Talgrund, 30 Sekunden bevor eine Landung möglich gewesen wäre.

Im Unterschied zu anderen Herausfallsicherungen ist beim „Get Up-System“ ein Fehler des Piloten ausreichend um es unwirksam zu machen. Systeme mit separat zu verschließenden Beingurten und Herausfallsicherung sind in dieser Hinsicht redundant. Der Pilot muss sowohl das Schließen der Beingurte vergessen und zusätzlich die Herausfallsicherung fehlerhaft, z.B. seitlich am Oberschenkel vorbei, führen, um in die gleiche Situation zu kommen.

Bild 6: Konventionelles Gurtzeug mit separat verschließbaren Beingurten und Herausfallsicherung. Offene Beingurte und fehlerhaft geführte Herausfallsicherung. Herausfallen leicht möglich.

Bild 7: Konventionelles Gurtzeug mit separat verschließbaren Beingurten und Herausfallsicherung. Offene Beingurte bei korrekt geführter Herausfallsicherung. Herausfallen nicht möglich.

Der DHV möchte alle Gleitschirmpiloten daran erinnern,
- sich mit den Verschlusssystemen des Gurtzeuges gründlich vertraut zu machen, besonders nach einem Neukauf,
- beim Anlegen des Gurtzeugs sofort alle Verschlüsse zu schließen,
- konsequent vor jedem Start einen Startcheck (5-Punkte-Check) durchzuführen.

In einigen Fällen wurden Piloten, die mit offenen Beingurten starten wollten, von anderen am Startplatz anwesenden Fliegern auf ihren Fehler aufmerksam gemacht. Mit etwas gegenseitiger Aufmerksamkeit konnten so schwere Unfälle verhindert werden. Ein Blick auf das Gurtzeug startbereiter Piloten, besonders solche mit wenig Flugerfahrung, schadet nie!

Verhalten nach einem Start mit offenen Beingurten.
Wenn der Pilot im Flug vom Sitzbrett rutscht, besteht unmittelbare Lebensgefahr. Normalerweise merkt der Pilot schon beim Start, dass der Schirm das Gurtzeug nach oben zieht und kann den Start abbrechen. Ein eher eng eingestellter, tiefer Brustgurt kann aber bewirken, dass das Gurtzeug, auch ohne die Fixierung durch die geschlossenen Beingurte, beim Starten in der gewohnten Position bleibt und nicht nach oben gezogen wird. Ist der Startplatz steil und/oder viel Wind, kann der Pilot bereits abgehoben haben, bevor er bemerkt, dass sein Gurtzeug nicht geschlossen ist. Man sollte den Schirm durch Verlagerung des Körpergewichtes so schnell wie möglich in Hangnähe steuern und eine Notlandung vornehmen, selbst auf die Gefahr schwerer Verletzungen durch ungünstiges Gelände, Bodenbeschaffenheit und harten Aufprall. Ein Herausfallen aus dem Gurtzeug ist die schlimmere Alternative.
Eine Möglichkeit aus der hängenden Position wieder auf die Sitzfläche des Gurtzeugs zu kommen, ist der sog. Bauchaufschwung. Hier im Video zu sehen. Diese Übung verlangt aber einen halbwegs sportlich trainierten Piloten.

Video Real Player   (Länge: 1 Min.)

Video Media Player (Länge: 1 Min.)

Der DHV hat vor einigen Jahren ein Informationsvideo zur Problematik der offenen Beingurte veröffentlicht. Der Film „Vorflugcheck und Startcheck“ ist auf den Lehrfilm-DVD`S „Starten, Steuern, Landen“ und „Aktiv Fliegen“ zu finden und kann auch hier heruntergeladen werden.

Informationsvideo Real Player   (Länge ca. 10 Min.)

Informationsvideo Media Player (Länge ca. 10 Min.)

Informationsvideo Media Player (Highspeed 200 MB) (Länge ca. 10 Min.)


Karl Slezak
DHV-Sicherheitsreferent

 

Nachtrag, 12.07.06
Am 10. Juli, spät Nachmittags, verunglückte ein Allgäuer Gleitschirmflieger am Nebelhorn tödlich. Das Opfer war ein 47-jähriger sehr erfahrener Flieger. Der Pilot hatte vergessen die Beingurte seines Gurtzeugs zu verschließen. Nach einem Startabbruch hatte er die Schließen der Beingurte geöffnet, um bequemer herumlaufen und seinen Schirm erneut auslegen zu können. Der anschließende Start erfolgte mit nicht verschlossenen Beingurten. Augenzeugen berichteten, dass der Pilot zunächst vergeblich versucht hatte, durch Hochziehen an den Tragegurten des Gleitschirms, auf die Sitzfläche des Gurtzeugs zu gelangen. Anschließend steuerte er, augenscheinlich mit Absicht, in Richtung eines Leebreichs, wohl um am Hang eine Notlandung vorzunehmen. Dies gelang ihm jedoch nicht, vielmehr geriet er in einen Aufwindbereich. Wahrscheinlich mit Absicht entschied sich der Pilot in ca. 10 Meter Höhe aus dem Gurtzeug abzuspringen, bevor der Aufwind ihn noch höher getragen hätte.
Beim Aufprall verletzte er sich so schwer, dass er, trotz rascher Hilfe durch den Notarzt, eine Stunde nach dem Unfall starb.

Bei dem Gurtzeug handelt es sich um einen älteren Typ ohne Herausfallsicherung.