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Deutscher Gleitschirm- und Drachenflugverband e.V.

DHV

Analyse: Retter in Gleitschirm verfangen

In den letzten Wochen sind dem DHV erneut zwei Vorfälle gemeldet worden, bei welchen sich der in einer Notsituation ausgelöste Rettungsschirm im Gleitschirm verfangen hat. Beide Male waren die Gleitschirmflieger in einem Spiralsturz nach einem Klapper. Einer der Piloten konnte durch kräftigen Zug an der Rettungsgeräte-Verbindungsleine eine Öffnung, unmittelbar vor der Bodenberührung erreichen, beim anderen löste sich die verfangene Rettungsgeräte-Kappe nach einem hunderte Meter währenden Spiralsturz selbständig und öffnete. Glück gehabt, mit weniger Höhe wäre es hier zu schweren Unfällen gekommen.

Das Verhängen des Rettungsschirms in der Gleitschirmkappe während der ersten Öffnungsphase ist eines der Sicherheitsrisiken, das bisher nicht zufriedenstellend gelöst ist. Ausführlich wird das Thema in einem Bericht des DHV behandelt. https://www.dhv.de/web/Retterausloesung_in.4696.0.html

Mitglieder des DHV-Lehrteams haben sich nun noch einmal mit der Problematik befasst. Zahlreiche Videos von „Real-Life“-Geschehnissen wurden analysiert.  Dabei wurde sehr deutlich, was auch bereits im o.g. Bericht angesprochen wird:
Wird bei einem Spiralsturz nach rechts die rechts am Gurtzeug befindliche Rettung nach rechts ausgelöst, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass sich der Rettungsschirm in der Gleitschirmkappe verhängt.
Besteht bei einem Spiralsturz nach rechts die Möglichkeit, den Rettungsschirm zur linken Seite auszulösen, fliegt das Päckchen wie eine Rakete davon und öffnet blitzschnell.
Die Erklärung ist einfach: Nach links geworfen, nimmt die nach außen wirkende Zentrifugalkraft das Paket sofort mit und befördert es schnellstmöglich weg von Piloten und Gleitschirm. Nach rechts, gegen die Zentrifugalkraft geworfen, hat der Rettungsschirm wenig Chancen seine Fangleinen zu strecken und zu öffnen, bevor er vom rotierenden Gleitschirm „eingefangen“ wird. In manchen Videos war sogar sichtbar, wie der Innencontainer, gegen die Zentrifugalkraft geworfen, sich (durch die Wurfenergie) erst ein Stück vom Piloten wegbewegt, um dann (durch die Zentrifugalkraft) wieder zu ihm zurückzukommen.

Hier ein paar Bildsequenzen zur Verdeutlichung

 

Nach außen geworfen...
fliegt die Rettung, erfasst von der Zentrifugalkraft....
wie eine Rakete davon....
und öffnet rasch.
Nach innen geworfen...
entgegen der Wirkungsrichtung der Zentrifugalkraft....
kann der Retter nicht vom Piloten/Gleitschirm wegkommen...
und wird von der Gleitschirmkappe eingefangen.

 

Noch besser lassen sich die zugrunde liegenden Mechanismen in einem Simulator darstellen. Ein Gleitschirmfluglehrer aus den USA hat eine G-Force-Maschine entwickelt (www.wingenvy.com/). Damit sollen Piloten gefahrlos an die Wirkung höherer G-Kräfte herangeführt werden und das richtige Auslösen des Rettungsschirmes üben. Video- und Bildsequenzen verdeutlichen das bestehende Problem sehr gut. Video auf youtube hier

Video (50% verlangsamt)

Die Drehrichtung beider Piloten erfolgt nach links. Die rechts auszulösenden Rettungsgeräte lassen sich mühelos werfen und werden von der Zentrifugalkraft rasch nach außen getragen.

Bei Wurfrichtung nach außen unterstützt die....
Zentrifugalkraft Auslösung und Wegschleudern der Rettung

 

Video (50% verlangsamt)
Drehreichtung beider Piloten nach rechts. Auslösung der Rettungsgeräte an der rechten Gurtzeugseite. Der Pilot mit der weißen Oberbekleidung wirft seine Rettung nach rechts ins Zentrum der Drehung. Der andere Pilot zieht seine Rettung aus dem Außencontainer, orientiert sich kurz und schleudert sie dann nach hinten/außen weg. Gut sichtbar, wie der Innencontainer sofort von der Zentrifugalkraft erfasst wird und sich schnell vom Drehzentrum wegbewegt.

Blauer Retter wird rechts ausgelöst...
und nach rechts ins Drehzentrum geworfen
Schwarzer Retter wird ausgelöst und dann...
nach hinten/außen geworfen.

 

Was bedeutet das für die Praxis?
Spiralstürze nach Klappern/Verhängern sind, neben Kollisionen, die häufigsten Ursachen dafür, dass der Rettungsschirm raus muss. Die Analyse hat gezeigt:
Es ist lebenswichtig, dass sich der Pilot vor dem Wegschleudern der Rettung vergewissert, dass die Wurfrichtung nach außen erfolgt, weg vom Drehzentrum.

Im Falle, dass die Drehung zur gleichen Seite erfolgt, wie die Auslöserichtung des Retters (Spiralsturz nach rechts, Retter-Auslöserichtung rechts) gilt:
Den Retter keinesfalls einfach in Auslöserichtung sondern nach hinten/außen wegschleudern.

Leider bieten nur wenige Gurtzeuge die Möglichkeit, die Rettung nach beiden Seiten auszulösen. Momentan haben nur einige Frontcontainer diese Option (die aber nur dann wirklich sicher ist, wenn die Konstruktion eine beidseitige Auslösung zulässt und die Hauptaufhängung der Rettung an den Einhängekarabinern des Gurtzeugs erfolgt) sowie Acro-Gurtzeuge mit zwei Rettern, je einer links und rechts.

Die Erkenntnis ist, dass ein einseitiger Auslösemechanismus bei einer Rettungsgeräteauslösung in Drehbewegungen nur nach einer Seite (zur Außenseite) gut funktioniert. Nach der anderen Seite (Innenseite) ist seine Funktionalität stark eingeschränkt.   
Es liegt deshalb nahe, die Entwicklung von Rettungsgeräte-Außencontainern in Angriff zu nehmen, die eine Auslösung nach beiden Seiten ermöglichen. Das würde zu einem erheblichen Sicherheitsgewinn führen.