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Deutscher Gleitschirm- und Drachenflugverband e.V.

DHV

Ungewollter Wolkenflug

Ungewollter Wolkenflug mit Hängegleiter

Ich bin seit mehr als 30 Jahren begeisterter Drachenflieger, habe in meiner „fliegerischen Jugend“ meine Schutzengel meist aus Leichtsinn einige Male strapaziert. Seither bin ich „etwas“ vorsichtiger geworden. Ich habe weit über 10.000 Streckenkilometer in den Knochen, bin seit über 10 Jahren ohne nennenswerte Zwischenfälle unterwegs und möchte mich als erfahrenen Streckenflieger bezeichnen.

Bei einem Zielrückflug im Juli 2007 von Greifenburg nach Canazei habe ich mich aus Unaufmerksamkeit und Leichtsinn, trotz meiner Erfahrung, in eine Situation gebracht, die ich nur durch Glück ohne Unfall überstanden habe. Vor diesem Ereignis hätte ich nie geglaubt, dass mir so etwas noch passieren kann.

Deshalb schreibe ich diesen Bericht mit der Absicht, dass diese Erfahrung anderen Piloten erspart bleiben möge.

Zur Vorgeschichte:

Mein damaliger Flugweg führte an einem nur mittelmäßigen thermisch aktiven Tag von Greifenburg durch die Dolomiten nach Canazei. Am Retourweg, kurz nach der Marmolata bin ich eine wunderschöne, 5 bis 7 km lange, genau in Flugrichtung liegende Wolke angeflogen. Nachdem die Steigwerte schon den ganzen Flug nie mehr als 1 bis 2 Meter integriert waren, habe ich keine Gefahr gesehen und mich sehr gefreut, als mich die Wolke mit einem Meter Steigen empfing. Nach ca. einem Kilometer schwachem aber konstantem Steigen war ich nur mehr 100 bis 200 m von der der Wolkenbasis entfernt. Daher habe ich beschlossen die Geschwindigkeit langsam zu erhöhen um nicht noch näher an die Wolke zu gelangen. Als die Geschwindigkeitsanzeige 120 km/h überschritt, stieg ich immer noch mit einem Meter. Die Entscheidung den nächstgelegenen Wolkenrand anzusteuern kam aber leider zu spät. Schon während der Linkskurve hat sich das Steigen nochmals merklich erhöht und die Befürchtung, dass ich eventuell in die Wolke gesaugt werde, ist kurz darauf trotz Tempo 100 zur traurigen Realität geworden. Anfangs konnte ich den Boden noch schemenhaft ausmachen, habe mir die Stellung der Kompassnadel eingeprägt und mich auf einige Sekunden Blindflug eingestellt. Nachdem die Sicht ganz weg war, habe ich das Tempo auf 70 km/h reduziert und mich nur mehr darauf konzentriert gerade aus weiter zu fliegen. Mein Atos VR verfügt bei diesem Tempo über eine ausgezeichnete Spurstabilität. Deshalb habe ich den Ernst der Lage noch immer nicht in vollem Ausmaß begriffen.  Anfängliche, leichte Abweichungen der Kompassnadel  konnte ich noch einigermaßen korrigieren. Kurz darauf war ich aber gleichzeitig mit starkem Steigen, ungewollter Geschwindigkeitszunahme und einer unerwarteten Kursabweichung konfrontiert. Mit Entsetzen mußte ich feststellen, daß meine Steuerausschläge nicht die gewohnte Wirkung erzielten. Die Richtung der Kompaßnadel, die Geschwindigkeit und die G-Belastung haben nicht mehr zu den Steuerbewegungen gepaßt. Jetzt war es Gewißheit, alles ist außer Kontrolle. Die Klappen sofort in Langsamflugstellung, sollten verhindern, daß ich die VNE überschreite.  Daraufhin hat sich die Geschwindigkeit tatsächlich kurz verringert, um kurz darauf aber noch stärker anzuwachsen. Bei meinem Versuch den Steuerbügel vorsichtig nach vorne zu schieben sind so große G-Kräfte aufgetreten, dass mir der Atem weggeblieben ist. Deshalb habe ich wieder etwas nachgelassen und die zu hohe Geschwindigkeit als das geringere Übel akzeptiert. Meiner akustischen Wahrnehmung nach hätte ich das Tempo auf gut 150 geschätzt. Die spätere Auswertung des Trackloggs hat aber „nur“ 130 km/h ergeben, was bei einer Bügel- und Klappenstellung, bei der ich normalerweise nur 75 km/h fliege beunruhigend genug ist.  Die darauf folgenden  ein bis zwei Minuten sind mir wie eine Ewigkeit vorgekommen. Obwohl ich den Steuerbügel mit aller Kraft ruhig gehalten habe, ist die Geschwindigkeit sehr rasch zwischen normal und extrem schnell geschwankt, haben mich gewaltige Fliehkräfte ins Gurtzeug gepresst und war der Flugzustand keinen Augenblick stabil. Das akustische Geschwindigkeitsempfinden, die G-Belastungen und der Bügeldruck haben einfach nicht zueinander gepaßt, ich war verzweifelt. Keine Flugfigur konnte ich mir ausmalen, die zu diesen Wahrnehmungen passt. Alles war außer Kontrolle. Ich habe mich deshalb nur mehr darauf beschränkt den Bügel zu fixieren um im Falle eines Flügelbruches so schnell wie möglich den Retter ziehen zu können. Es schien in diesem Augenblick für mich sehr wahrscheinlich, daß jeden Moment das Geräusch von berstender Kohlefaser meinen Leichtsinn bestrafen würde. Ich war nur mehr auf dieses eine Geräusch konzentriert um dann den Schirm schnell geöffnet zu haben. Plötzlich habe ich schräg ober mir für einen kurzen Augenblick eine offene Stelle im monotonen Grau registriert. Kurz darauf erschien der Fleck wieder, nur dieses mal schon merklich größer. Endlich hatte ich wieder eine vage Vorstellung betreffend meiner Position und Flugzustand. Ich war überzeugt  in Kürze von der Wolke nach oben ausgespuckt zu werden. Als der „rettende“ Fleck zum dritten Mal sichtbar wurde, mußte ich mit Schrecken feststellen, dass dieser nicht der Himmel, sondern der Boden war und ich beinahe im senkrechten Sturzflug auf denselben zu raste. Mit der wiedergekehrten Erdsicht  war der Flügel sofort wieder unter Kontrolle und ich konnte unter der Wolke wegfliegen.

Ich hatte während der gesamten Blindflugphase nicht die geringste Vorstellung in welchem Flugzustand sich mein Gerät mit mir befand. Ich habe nur die laufenden Geschwindigkeitsänderungen und die sehr hohen, aber immer positiven G-Belastungen wahrgenommen. Die spätere Auswertung des Tracklogs ergab, dass ich vermutlich sehr steile, fast loopingähnliche Steilspiralen geflogen bin.  Das erklärt auch die abgespeicherten 130 km/h, bei einer Bügel- und Klappenstellung, bei der ich normalerweise nur 75 km/h fliege. Dass mein Atos in dieser Phase nicht zerbrochen ist, hat mich fast einwenig verwundert! Ich möchte mich an dieser Stelle bei Firma A-I-R für die hervorragende Arbeit bedanken. Ich konnte zur unfallfreien Beendigung der Situation selber nur marginal beitragen.

 


Meine Schlussfolgerungen:

1.) Ein Hängegleiter ausgerüstet mit Kompass und Variometer ist im Blindflug, in einer Wolke mit thermischen Aufwinden, nur kurze Zeit beherrschbar. Blindflug ist daher lebensgefährlich und in jedem Fall zu vermeiden. Kollegen, die angeblich absichtlich in Wolken fliegen und von minutenlangen „tollen“ Blindflügen erzählen verfügen offensichtlich über Fähigkeiten, die ich nicht habe..

2.) Natürlich bin ich bei größeren Wolken mit starkem Steigen immer schon frühzeitig zum lufseitigen Wolkenrand versetzt um notfalls rechtzeitig flüchten zu können. In Zukunft werde ich das bei allen größeren Wolken machen, auch wenn das zu erwartende Steigen nicht sehr stark ist. Meine oben beschriebene Erfahrung hat mir gezeigt, dass das zu erwartende Steigen unter einer Wolke nicht immer zuverlässig vorhersehbar ist und im Tagesverlauf stark variieren kann. Unter größeren Wolken ist somit immer Vorsicht geboten.

Ich hoffe dass diese Erfahrung einigen von euch ähnliche Fehler ersparen möge. Hoffentlich kann damit der eine, oder andere unnötige Unfall vermieden werden.

Ich wünsche euch viele schöne, interessante, weite und vor allem unfallfreie Flüge.

Liebe Grüße,
Walter Geppert