The ducks kill, not the crocodiles
(Red.) Oft ist es nicht eine große Einzelursache sondern eine Verkettung von mehreren kleinen Umständen die zu einer kritischen Situation führt. Die britischen Piloten verwenden dafür die Allegorie, dass nicht die Krokodile töten sondern die Enten.
Eine erfahrene Gleitschirmpilotin schildert so ein Beispiel.
Am 10. März 2013 war ich am Elfer in Neustift/Stubai bei sehr leichten thermischen Bedingungen mit meinem XS High-End EN-C Schirm unterwegs. Normalerweise fliege ich ihn mit 10 bis 12 kg Wasserballast an der Obergrenze des Gewichtsbereichs. An diesem Tag war ich zum ersten Mal ohne Ballast im unteren Gewichtsbereich unterwegs. Das Liegegurtzeug, das ich flog, war relativ neu und wesentlich tiefer aufgehängt als mein altes, außerdem war es trotz kleinster Größe, leicht zu groß. Mein Schirm war zehn Tage zuvor beim Trimmcheck gewesen und ich hatte bei einem Flug dieser Kombination Gurtzeug-Schirm eine Woche zuvor festgestellt, dass die Bremsen für meine Armlänge mit der Schirm-Gurtzeug-Kombination zu kurz waren. Zwei Tage vor dem Unfall hatte ich die Bremsen noch verlängern wollen, aber die Knoten nicht aufbekommen. Da dachte ich, egal, das nächste Mal beim Start, würde ich jemanden fragen, und könnte das dann schnell erledigen. Wie es immer so kommt, hatte ich das dann am Startplatz des Elfer am Unfalltag völlig vergessen.
Es waren sehr schwache thermische Bedingungen, aber teilweise doch leicht bockig. Ich drehte (auch mit Außenbremse - wegen der schwachen Bedingungen) so vor mich hin und konnte auch Höhe machen. Dann habe ich den Schirm
einseitig abgerissen, allerdings die Bremse sofort wieder freizugeben versucht. Da ich aber so tief saß (bzw. die Bremsen selbst beim Ausstrecken der Arme auf etwas mehr als Kontakt waren), ist der Schirm, statt einseitig wieder anzufahren, irgendwie in den Sackflug geraten. Ich sackte also unruhig so vor mich hin und versuchte, zu reagieren (durch Arme Nach-Oben-Strecken). Da der Schirm eine erhebliche Streckung hatte, ist das Ganze recht unruhig gewesen. Die Ohren haben geschlagen. Als ich den Schirm nicht mehr zum Fliegen brachte, und nur noch ca. 250 Meter über Grund hatte, war mir klar, dass ich den Retter brauchte. Just in diesem Moment als ich das für mich entschieden hatte, verhängte sich das eine Ohr, die eine Seite kippte zurück (ich wusste in dem Moment, dass es allerhöchste Zeit für den Retter war). Dann schoss die Seite auch schon vor und ich war im Spiralsturz. Das einseitige Zurückkippen und kurz darauf im Spiralsturz-Sein ging extrem schnell.
Ich spiralte links herum und zog am Rettergriff. Doch ich bekam ihn nicht raus. Wahrscheinlich wegen der hohen Fliehkräfte und weil ich versuchte, ihn direkt nach oben zu ziehen. Statt seitlich heraus (Tubecontainer). Beim K-Test und anschließendem Turnhallen-Werfen eine Woche zuvor war es überhaupt kein Problem gewesen, den Retter rauszubekommen. Aber in diesem rumpelnden Spiralsturz? Keine Chance!
Gut, dass ich mit einem Zweitretter (Frontcontainer) fliege. Wobei ich den mit Rechts in dem Spiralsturz auch nicht rausbekam. Erst mit der linken Hand hat es geklappt. Ich schmiss den Retter raus, er ging links von mir auf (ich spürte den Ruck in den Tragegurten und sah, wie die Rettung offen war), dann schlug ich auch schon, noch in der Drehung begriffen, frontal mit dem Hintern in die vereiste Piste. Diagnose: zwei stabil gebrochene Wirbel (Lenden- und Brust-Wirbel), die nach drei Monaten und extrem viel und konsequenter Physio wieder soweit zusammengewachsen waren, dass ich wieder fliegen durfte.
Vielleicht hilft es anderen, wenn ich die Fakten zusammenstelle, die mir bei der Aufarbeitung des Unfalls geholfen haben:
Noch im Krankenhaus habe ich mich mit Testpiloten unterhalten und bin zu folgendem Ergebnis gekommen:
Hauptursache war natürlich (wie immer bei Gleitschirmunfällen) mein Pilotenfehler, den Schirm überhaupt abzureißen.
Begünstigend für den Absturz kamen hinzu:
· Die relativ kurzen Bremsen in der Kombination mit dem tief aufgehängten Gurtzeug und meinen relativ kurzen Armen
· Die kalte, schwere Luft, die die Geräte (vor allem die kleinsten Größen, wenn sie ganz unten belastet geflogen werden) natürlich generell sackfluganfälliger machen
Interessant ist vielleicht noch, dass ich Sackflug von der Ausleitung des Fullstalls her ein bisschen kenne und ihn dort, ebenso wie den Backfly, sehr gerne mag, wobei ich da auch noch am Üben bin und von einem Experten sehr weit entfernt bin. Dieser Sackflug war vom Gefühl her jedoch etwas völlig anderes. Gerade bei höherklassifizierten Schirmen ist es oft Millimeter-Arbeit, diese aus dem Sackflug wieder herauszubekommen und zum Fliegen zu bringen - oder eben auch nicht. Richtige Reaktion bei diesem Schirm in der Konstellation an diesem Tag wäre wohl gewesen, ihn superkurz und superleicht anzubremsen und dann fliegen zu lassen. Wobei die Frage ist, ob die Bremsen zum Fliegenlassen überhaupt lang genug gewesen wären ...
Was mir wahrscheinlich am meisten geholfen hat, nach Ausheilen der physischen Unfallfolgen gleich wieder zu Fliegen, war, dass ich dank vieler Sicherheitstrainings und mentalem Training die ganze Zeit über immer wusste, was los war und auch, was zu tun ist (zumindest nach meinem derzeitigen Könnensstand).
Mein Fazit:
Ich fliege wieder mit meinem alten Gurtzeug, hänge unter einem anderen Schirm und habe nach sechs Monaten, als der Rücken zu 100 Prozent wieder belastbar war, gleich eine Woche Sicherheitstraining gemacht. Außerdem war ich im G-Force-Trainer.
Den und Sicherheitstrainings kann ich jedem Piloten nur empfehlen. Es ist etwas ganz anderes, ob man einen Retter in der Turnhalle wirft, oder bei 4 G. Meines Erachtens kann man nur im G-Force-Trainer halbwegs realistisch prüfen, ob man seinen Retter im Ernstfall wirklich herausbekommt!