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Deutscher Gleitschirm- und Drachenflugverband e.V.

DHV

Fehler bei SAT-Einleitung

Pilot: 42 Jahre, männlich, Flugerfahrung seit 4 Jahren mit 300 Flügen und ca. 100 Flugstunden, davon 60 auf dem Unfallgerät,

Gerät: Gleitschirm: Ozone Rush 2 M, DHV-Klasse 1/2
Gelände: alpines Gelände, Hangstart
Wetter: leichter Westwind, ≤ 10 km/h, ruhiges Abgleiterwetter

Während einer SAT-Einleitung erlitt ich einen Torsionsbruch des Oberarmknochens am Bremsarm. Um andere Piloten vor dieser Erfahrung zu bewahren, liefere ich hier eine kurze Unfallbeschreibung mit anschließender Analyse.

Der Start des Fluges erfolgte am Weststartplatz der Hochries. Ich leitete nach 5 Minuten ruhigen Fliegens ohne Manöver in ca. 1300 m MSL (ca. 400 m GND) einen SAT nach rechts ein. Die Steuerleine an der linken Stützhand war ungewickelt, während die angebremste rechte Seite mit einer halben Wicklung geflogen wurde.
Die folgenden Ereignisse spielten sich innerhalb weniger Sekunden ab. Der Schirm ging nach der Einleitung sofort in die SAT-Stellung. Die angebremste Seite zeigte ca. 20-30° schräg nach oben, der Schirm befand sich direkt vor mir. In diesem Moment zog ich, um den Flügel noch etwas schräger zu stellen, die angebremste rechte Seite mit aller zur Verfügung stehenden Kraft, aber mit genug Gefühl, um den Schirm nicht abzureißen, nach. Der Steuerdruck auf der angebremsten Seite war zu diesem Zeitpunkt extrem hoch. Gleichzeitig korrigierte ich meine Position im Gurtzeug, indem ich den leicht eingeknickten (ca. 30°) Stützarm wieder voll durchstreckte. Dies war auch der Zeitpunkt, in welchem das System Schirm/Pilot so richtig beschleunigte. Plötzlich gab es knackendes Geräusch und die Innenbremse war ohne Steuerdruck. Mein erster Gedanke war, die Steuerleine sei gerissen. Beim Blick zum Schirm sah ich aber, wie der Bremsgriff völlig in Ordnung mit der Steuerleine an der Umlenkrolle hing. Ich versuchte den Bremsgriff mit dem rechten Arm zu greifen, dies ging aber nicht, weil der Arm nicht mehr da war, wo er eigentlich laut Gehirn hätte sein sollen. Kurzzeitig glaubte ich, dass ich meinen Arm verloren hätte, da er nicht mehr zu sehen war und durch die Fliehkraft in abnormer Stellung hinter mir hing. Ich realisierte jetzt ansatzweise, was passiert sein müsste.
Der Schirm befand sich mittlerweile parallel zum Horizont mit nach unten zeigender Eintrittskante und gestreckten Leinen in einer schnellen Drehbewegung vor mir. Ich nahm die Gewichtsverlagerung zurück, ließ nach einem kurzen Bremsimpuls auf der Außenseite den linken Bremsgriff los und griff mit der linken Hand den rechte Bremsgriff auf der Innenseite und zog die Bremse auf der rechten Seite nach. Ich leitete die Flugfigur einhändig über eine Spirale mit 1-2 Umdrehungen aus. Die linke Bremse nahm ich erst in der Endphase der Spiralausleitung zusätzlich zur rechten Bremse wieder mit in die linke Hand. Der Höhenverlust während dieses Manövers betrug etwa 100 m.
Als sich der Gleitschirm wieder im Normalflug befand, checkte ich die Höhe, sowie das Gelände unter mir und zog einen Retterwurf oder eine Notlandung in Erwägung. Da der Gleitschirm aber stabil flog und es meine Verfassung zuließ, steuerte ich den Schirm vom Hang weg in Richtung Landeplatz. Mit meinem linken Arm konnte ich den verletzten und seitlich herunterhängenden rechten Arm greifen und diesen angewinkelt in meinem Schoß in eine halbwegs erträgliche Stellung legen. So flog ich, die meiste Zeit mit beiden Bremsen in einer Hand, in Richtung Landeplatz. In Höhe des Landeplatzes dachte ich nochmals über einen Retterwurf nach, entschied mich aber dann aufgrund der überschaubaren Flugbedingungen zu einer Protektorlandung mit beiden Bremsen in einer Hand. Nach einem pendelfreiem Endanflug gegen den Wind, leichtem Ausflairen und Durchbremsen mit beiden Steuerleinen in einer Hand, setzte ich sanft mit dem Protektor auf und legte mich auf die unverletzte linke Seite.
Mit dem noch funktionierenden linken Arm holte ich, wenn auch etwas umständlich, mein Handy aus der linken Brusttasche meiner Jacke und verständigte nacheinander die Rettungsleitstelle, die Flugschule Hochries und meine Lebenspartnerin. Zu diesem Zeitpunkt war ich der einzige Flieger am Landeplatz.

Das Manöver SAT hatte ich vor diesem Flug über 30 Mal geflogen. Die Teilnahme an mehreren Sicherheitstrainings beeinflusste mein Verhalten in der geschilderten Situation und im weiteren Verlauf des Fluges entscheidend.

Analyse aus meiner Sicht:

Begünstigende Faktoren für den Unfall waren:
· Niedrige Aufhängung des Acro-Gurtzeuges im Zusammenhang mit auf der gebremsten Seite halb gewickelter Bremsleine und die daraus resultierende ungünstige Armhaltung beim SAT (Arm ziemlich angewinkelt und Hand mit Bremsgriff in Hüfthöhe).
Ein bis zwei Wicklungen mehr auf der rechten Bremse hätten dieser ungünstigen Haltung sicher entgegen gewirkt. Da aber in der Einleitphase auch ein einseitiger Strömungsabriss möglich ist und ich in einer solchen Situation nicht mit einer mehrfachen Wicklung auf einer Seite arbeiten möchte, rate ich davon ab.
· Übermotivierter Versuch, den Gleitschirm in der Einleitphase des SAT mit maximaler Kraft am Bremsarm noch schräger zu stellen.
Das wäre nach ein bis zwei Umdrehungen (Andrehen des Systems Schirm/Pilot) sicher einfacher gegangen. Dagegen sprach aber die relativ geringe Höhe über Grund durch eine ungünstige Geländewahl.

Hauptursache (Auslöser) des Oberarmbruchs:
· das gleichzeitig zur Beschleunigungsphase des Systems Schirm/Pilot erfolgte Durchdrücken des Stützarmes
· parallel dazu eine minimale Drehbewegung des Handgelenks der Bremshand bei voller Zugkraft auf diesem Arm

In der vorhandenen ungünstigen Armstellung war der Oberarmknochen durch die voll angespannten Muskeln bereits unter sehr starker Spannung. Das Durchdrücken des Stützarms und die veränderte Sitzhaltung beschleunigte das Systems Schirm/Pilot zusätzlich und die wirkenden G-Kräfte nahmen zu. Die Krafteinleitung auf den Oberarmknochen zu diesem Zeitpunkt lässt sich am Besten mit der Einspannung in einen Schraubstock vergleichen. In dieser Situation kam es dann durch das Durchdrücken des Stützarmes und das schnelle Andrehen des Systems Schirm/Pilot zu einer minimalen Drehbewegung des Handgelenks der Bremshand. Diese Drehbewegung leitete zusätzlich zu den bereits wirkenden Kräften ein Drehmoment über den Unterarm auf den Oberarmknochen und löste dort den Torsionsbruch aus.

Nach einer Diskussion mit erfahrenen Acro-Piloten und Sicherheitstrainern ergeben sich für mich die folgenden Hinweise zur Unfallvermeidung bei der SAT-Einleitung:
· Die Einleitung des SAT muss zügig, aber natürlich ohne den Schirm einseitig abzureißen, erfolgen. Bei einer zügigen Einleitung hat der Schirm nicht die Zeit, um in einer beginnenden Spirale zu stark zu beschleunigen. Die auf das System Schirm/Pilot wirkenden Kräfte sind dadurch geringer als bei einer langsamen Einleitung.
· In der Beschleunigungsphase des Systems Schirm/Pilot darf kein übertriebener Krafteinsatz am Bremsarm erfolgen, auch wenn der Schirm es in dem Flugzustand strömungstechnisch vertragen würde.
· Ein leicht eingeknickter Stützarm darf in der Beschleunigungsphase des Systems Schirm/Pilot nicht durchgestreckt werden. Dies ist erst nach dem Andrehen des Systems wieder gefahrlos möglich.
· Zur stressfreien SAT-Einleitung sollte immer eine ausreichend komfortable Höhe über Grund eingehalten werden.

Noch eine Anmerkung zum derzeit viel diskutierten Thema Retteranbringung und Auslösbarkeit, auch wenn mein Unfall einzigartig war und hoffentlich bleibt:
Ich flog ein Acro-Gurtzeug mit je einer nach rechts und einer nach links auslösbaren Rettung unter dem Sitzbrett. Es war mir dadurch jederzeit möglich, den Retter auch auf der linken Seite zu werfen. Bei einem normalen Gurtzeug mit Retterauslösung nur auf der rechten Seite wäre in der erlebten Situation mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit eine Auslösung nicht mehr möglich gewesen.


Allzeit happy landings