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Deutscher Gleitschirm- und Drachenflugverband e.V.

DHV

Reinlegen: Gewichtsverlagerung oder aerodynamisches Rollmoment?

Ein Beitrag von Horst Altmann

Mit der Stellungnahme von Konrad Friz ist Leben in der Diskussion um die Frage: Kommt das Kurven mittels Reinlegen ins Gurtzeug aus der Schwerpunktsverlagerung oder ist es das aerodynamische Rollmoment infolge des mittigen Flügelknicks?

Wie im Beitrag „Schnellflug und Kurven mit dem Gleitschirm“ (DHV-Info 145) ausgeführt liefert die „exakte“ aerodynamische Rechnung am ± 10cm verformten Flügel ein Rollmoment von ca. 130Nm oder bei einem Hebel von 7m (Abstand Pilot zur Schirmmitte) eine Querkraft von ca. 20N (entspricht Gewicht von 2kg). Konrad Friz hat diesen Wert durch eine sehr anschauliche Abschätzung bestätigt. Ist diese unhandliche Größe 130Nm nun viel oder wenig?

Wenn man diesen Wert z.B. mit Leistungsdaten von Motoren vergleicht wird man feststellen, dass dieses Rollmoment knapp dem Drehmoment eines 100PS-Motors entspricht. Das klingt nach viel. Andererseits scheinen 20N Querkraft wirklich nicht viel zu sein. Mal anders angeschaut: Das genannte Rollmoment bekommt man auch, wenn man sich an einem Flügelende (Halbspannweite ca. 5m) knapp 3kg Gewicht vorstellt. Hmm, 3 Milchtüten in den Stabilo gehängt könnten schon eine deutliche Reaktion hervorrufen?

Zur Überprüfung der aerodynamischen Theorie habe ich das Reinlegen-Modell als Querkraft (mit Angriffspunkt Schirmmitte) in ein detailliertes Gleitschirm-Modell eingebaut und den Kreisflug mittels Reinlegen gerechnet. Die Simulation liefert für den Vollkreis eine Dauer von ca. 30 Sekunden. Was sagt hierzu die Praxis? Wenn ich mich bei meinem Schirm (typischer DHV2-Vertreter) so reinlege, dass die Karabiner etwa ± 10cm vertikal auseinanderstehen stoppe ich den Vollkreis in sehr guter Übereinstimmung ebenfalls bei ca. 30 Sekunden. Die Theorie scheint bestätigt. Kann die Simulation auch Wingovern durch rhythmisches Reinlegen bestätigen? Auch dies konnte am Computer erfolgreich simuliert werden und ein entsprechendes Animations-Video steht hier bereit.

Also keine Schwerpunktsverlagerung?! In Sachen Reinlegen bietet sich ein einfaches mechanisches Modell des Gleitschirms an, bei dem das System in 4 starre Teile zerlegt ist: Linke und rechte Flügelhälfte, verbunden über ein Mittelstück (Stange) sowie das Gurtzeug mit Pilot (siehe Abbildung). Reinlegen verschiebt die beiden Karabiner gegensinnig vertikal, was die beiden Flügelhälften entsprechend mitbewegt. Die verbindende Schirmmitte bekommt einen Knick und die nun etwas schräg stehende Luftkraft Lmitte macht bezogen auf den tiefen Schwerpunkt das rein aerodynamische Rollmoment, wobei der Schwerpunkt in der ursprünglichen Symmetrieebene des Systems verbleibt. Reinlegen funktioniert auch bei weitgehend horizontalen Manövern wie Kontrollieren und Ausleiten von Steilspirale und SAT, wohingegen hier die Gewichtskraft des Piloten, die nun fast senkrecht zum System steht, nicht viel ausrichten kann.