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Deutscher Gleitschirm- und Drachenflugverband e.V.

DHV

Schwindel

Anatomie und Funktion des Gleichgewichtsorgans

Das Gleichgewichtsorgan befindet sich im Innenohr. Es besteht aus 3 Bogengängen, die nahezu im rechten Winkel gegeneinander im Raum angeordnet sind. In ihnen befindet sich eine Flüssigkeit (Endolymphe). Sie lenkt bei Drehbeschleunigungen zapfenförmige Sinnesorgane (Crista ampullaris) aus, da sie aufgrund ihrer Trägheit im Raum sozusagen stehen bleibt.

Außerdem gibt es kissenartige Sinnesorgane (Macula statica), auf denen kleine kristalline Partikel eingelagert sind, die lineare Beschleunigungen erfassen können.

Wenn man die Funktionsweise dieser Sinnesorgane versteht, erklären sich viele Phänomene, die wir vom Fliegen kennen. Zum Beispiel bemerken wir nur die Beschleunigung beim Einfliegen in die Thermik bzw. beim Herausfallen. Die Kristallpartikel auf der Macula statica werden in ihr Kissen gepresst bzw. angehoben. Bewegen wir uns mit konstanter Geschwindigkeit in einem Luftmassenpaket nach oben (bzw. unten), nehmen sie wieder eine neutrale Position ein, und wir erhalten keine Information mehr über unser konstantes Steigen bzw. Sinken. Dies können wir lediglich noch optisch erfassen, was jedoch mit zunehmendem Abstand vom Boden schwieriger wird. So sind wir auf technische Hilfsmittel angewiesen - und die Variohersteller freuen sich über einen sicheren Markt.

Das zweite Phänomen, der Drehschwindel, erklärt sich wie folgt: mit zunehmender Dauer einer Drehbewegung wird die Endolymphe (Flüssigkeit) in ihrem Bogensegment langsam mitgenommen. Es werden keine Signale mehr über eine Drehbewegung an das Gehirn weitergeleitet. Da aber die Augen weiterhin Signale über eine Drehung vermitteln, kann es zum Schwindelphänomen kommen. Der Schwindel aufgrund dieser Informationsdiskrepanz kann jedoch durch Training vermindert werden.

Stoppt nun die Drehbewegung abrupt, so bewegt sich die Endolymphe aufgrund ihrer Trägheit weiter und verursacht dadurch einen Nachdrehschwindel. Man kennt ihn aus Kinderspielen, die diesen Effekt ausgiebig nutzen.

Schließlich soll noch ein Effekt erwähnt werden, der bei abrupten Lageänderungen des Kopfes (Umherschauen) während einer konstanten Kreisbahn (Thermikdrehen, Steilspirale) auftritt. Wie bei einem Gyrokreisel treten bei der Ablenkung der Achse des Kreisels Querkräfte auf. Dabei kann es in unserem Kleinhirn zu einem entsprechenden Feuerwerk an nicht zueinander passenden Fehlinformationen kommen: von starkem Schwindel bis hin zur Orientierungslosigkeit.

Tipps zur Lösung des Schwindelproblems

Zunächst kann man das Problem bekämpfen in dem bei Kurbeln möglichst konstant ein Fixpunkt in der Drehkreismitte anvisiert wird. Bei der Steilspirale ist es besser die Spitze des Innenflügels zu fixieren. Wegen der möglichen Kollisionsgefahr mit anderen Piloten ist dies jedoch nicht immer umsetzbar! Beim Umherblicken sollte man dann möglichst wenig hektische Bewegungen machen. Es hilft auch wenn man sich zu jeder Zeit über seine aktuelle Lage und Bewegungsrichtung in der Luft bewusst im Klaren ist und aktiv über den weiteren Luftweg mitdenkt.

Ein weiterer Punkt, der zwar nicht sofort hilft, aber tröstlich sein kann: bei vielen Menschen tritt ein gewisser Gewöhnungseffekt auf. Man kann sich schrittweise und vorsichtig, durch Erhöhung der Umdrehungszahlen und "meterweise" Steigerung der Sinkgeschwindigkeit, an die Steilspirale herantasten. In der Regel kommt man damit von mal zu mal besser zurecht.

Nüchtern zu sein (nicht im Bezug auf Alkoholkonsum! Der hat beim Fliegen sowieso nichts verlohren!!) reduziert nur die Menge des Erbrochenen hilft aber nicht gegen die Übelkeit.

Natürlich gibt es gegen diese Form der Übelkeit (Reisekrankheit, Kinetose,...) auch haufenweise Medikamente. Aber alle haben einen gravierenden Haken: Sie wirken zentral im Gehirn und haben als Nebenwirkung einen mehr oder weniger stark ausgeprägten Effekt auf das Reaktionsvermögen und die Wachheit!!!! Im Übrigen müssen sie meist einige Zeit vorher eingenommen werden. Es gibt vielfältige Darreichungsformen, von Hautpflastern über Kaugummis bis Zäpfchen, auch Pflanzliche Mittel (wie zum Beispiel Ingwerpräparate). Zum Fliegen muss von solchen Präparaten aber wegen ihrer Nebenwirkungen dringend abgeraten werden!

 

Dr. med. Eckhart Schröter

Verbandsarzt des DHV

(2/2004)