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Deutscher Gleitschirm- und Drachenflugverband e.V.

DHV

Sauerstoffmangel

Die uns umgebenden Luft ist ein Gasgemisch, bestehend aus Stickstoff, Sauerstoff und Restgasen (u.a. Kohlendioxid). Deren grobe Zusammensetzung ist in den unteren Schichten der Atmosphäre nahezu konstant.

Der Luftdruck nimmt in der Atmosphäre mit zunehmender Höhe ab. Die Druckabnahme ist jedoch nicht linear. Dabei nimmt der Partialdruck der Gasanteile ebenfalls ab. Unter dem Partialdruck (= Teildruck) eines Gases in einem Gasgemisch von 2 oder mehr verschiedenen Gasen versteht man den Druck eines der Gase, der herrschen würde, wenn man bis auf dieses Gas alle anderen aus dem Volumen entfernt hätte. In der folgenden Tabelle erkennt man, dass der Partialdruck des Sauerstoffs in einer Höhe von rund 5000 m bereits auf die Hälfte gesunken ist. Somit nimmt auch das Sauerstoffangebot entsprechend ab.

 

Sauerstoffmangel bringt eine deutliche körperliche und geistige Leistungsminderung mit sich. Dies bleibt jedoch häufig beim Betroffenen unbemerkt. Der Grund dafür liegt darin, dass leichter Sauerstoffmangel kaum wahrnehmbare Veränderungen hervorruft. Starker Sauerstoffmangel wirkt euphorisierend und einschläfernd, sodass die Symptome zwar deutlich vorhanden sind, vom Betroffenen selbst jedoch nicht mehr richtig wahrgenommen werden können. Ein immer wieder erlebtes (deutliches) Beispiel für Sauerstoffmangel ist, wenn auf einem motorisierten Rundflug in die Bergwelt die Passagiere tief und fest schlafen, um nach der Landung zu erzählen, dass sie noch nie einen so schönen und ruhigen Flug erlebt hätten...

 

Symptome, körperliche Reaktionen

Jeder Mensch hat ein eigenes Muster von Symptomen, die bei Sauerstoffmangel (Hypoxie) auftreten. Die einzige Möglichkeit dieses Muster unter sicheren Bedingungen kennen zu lernen ist, sich bewusst einer Hypoxie (z.B. in einer Unterdruckkammer) auszusetzen. Diese Möglichkeit haben jedoch nur Militär- oder Berufspiloten. Die Symptome, die dabei auftreten können, sind mannigfaltig. Die häufigsten seien hier kurz aufgeführt: Schnelle und tiefe Atmung (Hyperventilation); Kribbeln in den Füssen, Händen und im Gesicht; Schwindel; Veränderungen im Farben-Sehen; Einengung des Gesichtsfeldes; Euphorie, Schläfrigkeit.

Sauerstoffmangel tritt bereits in Höhen um 3300 m NN (10000 ft) auf und bewirkt einen Anstieg der Herz- und Atemfrequenz sowie eine diskrete Herabsetzung der intellektuellen Leistungsfähigkeit, ähnlich dem Effekt von Alkoholeinwirkung. 1997 ist eine Untersuchung der Amerikanischen Luftfahrtbehörde (Federal Aviation Administration, FAA) erschienen, welche zeigte, dass die Fehlerrate vor allem während arbeitsintensiverer Abschnitte in der motorisierten Luftfahrt wie dem Descent und Approach zu einem Flugplatz im Vergleich zu Anflügen aus geringeren Höhen signifikant zunimmt. Besonders interessant dabei ist, dass die Herabsetzung der Leistungsfähigkeit von den Piloten selbst in der Regel nicht bemerkt wurde, obwohl gehäuft Kommunikationsfehler und Verfahrensfehler (vergessene Checks, falsche Procedures) auftraten.

(Übrigens: Eine Zigarette führt zu einem Anstieg des CO Hb auf 1,5 %. 5-8 % CO Hb verringern die Sauerstofftransportkapazität in einer Höhe von 2500 m auf das in 3500 m bei Nichtrauchern. Somit können nach dem Genuß von 4 - 5 Zigaretten die Symptome der 1. Stufe der Höhenkrankheit (s.u.) bereits auf einer Höhe von 2500 m auftreten.)

Kritisch wird es auch, wenn man sehr plötzlich dem verminderten Druck in extremen Höhen ausgesetzt wird. Die in der folgenden Tabelle dargestellten Zeitreserven geben die Zeit in Minuten an, die einer Person nach einem plötzlichen Druckabfall in verschiedenen Höhen, z.B. im Flugzeug, noch für eine ausreichende Aktionsfähigkeit verbleibt. Für uns Tuchflieger ist dies zum Glück eigentlich nicht relevant, aber anschaulich.

 

Höhe über NN (m)  Zeitspanne (min)
 7000  5
 8000  3
 9000  1,5
 10000  1
 11000  0,6
 12000  0,5

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Höhenkrankheit

Abschließend sollen noch ein paar Worte zur Höhenkrankheit geäußert werden. Sie hat individuelle Ausprägungen und betrifft uns als Flieger hoffentlich selten, da wir uns in der Regel nur kurz in entsprechenden Höhen aufhalten. Treckingreisen mit längerem Aufenthalt in solchen Regionen werden jedoch immer beliebter, sodass ihr dort größeres Augenmerk geschenkt werden muss.

Unter der Höhenkrankheit versteht man alle Folgen, Symptome und Beschwerden, die aufgrund des in größeren Höhen bestehenden geringen Luftdrucks bzw. Sauerstoffpartialdrucks zustande kommen. Es können dies leichte Symptome ab ca. 2000 m bis hin zu schweren Symptomen, wie Lungen- und/oder Hirnödemen, Thrombosen und Lungenembolien in größeren Höhen sein. Die Höhenkrankheit kann in ausgeprägter, schwerer Form zum Tod führen. Die Betroffenen müssen so schnell wie möglich auf geringere Höhe verbracht werden. Als erste Hilfe bietet sich die Gabe von Sauerstoff oder der Einsatz einer hyperbaren Druckkammer aus aufblasbarem Kunststoff an.

Man unterscheidet im Prinzip vier Zonen, in denen es aufgrund des Sauerstoffmangels zu unterschiedlichen Reaktionen des Organismus kommen kann. Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass diese Bereiche als Mittelwerte anzusehen sind, da individuelle Dispositionen und/oder Akklimatisation zu beträchtlichen Verschiebungen führen können.

Indifferenzzone

Ab Meereshöhe bis etwa 2 000 m Höhe werden die physischen und psychischen Funktionen des Menschen praktisch nicht beeinflusst. Sportliche und andere körperliche Höchstleistungen (Arbeit) sind daher nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt.

Zone der vollständigen Kompensation

Dieser Bereich reicht von etwa 2 000 m Höhe bis etwa 4 000 m. Der erniedrigte Luftdruck mit dem verminderten Sauerstoffangebot führt bereits ohne körperliche Anstrengungen, also in Ruhe, zu einer Erhöhung von Herzfrequenz, Atemzeitvolumen, sowie vom Herzzeitvolumen. Außerdem vergrößert sich durch die zusätzliche Bildung von roten Blutkörperchen (Erythrozyten) die Blutdichte. Bei Belastungen nehmen diese Werte deutlich mehr zu, als das auf Meereshöhe der Fall wäre. Die physische und psychische Leistungsfähigkeit ist deutlich reduziert.

Zone der unvollständigen Kompensation

Dieser Bereich erstreckt sich von einer Höhe von ca. 4 000 m bis zu ca. 7 000 m. In dieser Zone ist ohne Akklimatisation mit erheblichen Störungen, bis hin zu Bewusstlosigkeit und Tod zu rechnen. Die physische und psychische Leistungsfähigkeit ist erheblich reduziert. Auch die Entscheidungs- und Reaktionsfähigkeit nimmt teilweise erheblich ab.

Kritische Zone

Dieser Bereich beginnt etwa in einer Höhe von 7 000 m. In Bergsteigerkreisen wird auch von der Todeszone gesprochen. Ab 7 000 m Höhe wird in der Lunge, also in den Lungenbläschen, der kritische Sauerstoffpartialdruck von 30-35 mm Hg unterschritten. Unterhalb dieses Wertes ist kein ausreichender Gasaustausch (Diffusion) von der Lunge ins Blut und vom Blut in die Zellen mehr möglich. Dabei treten in der Regel in dieser Höhe sehr rasch lebensbedrohliche Reaktionen ein (s.o. ‚Symptome‘). Ohne die Zufuhr von Sauerstoff oder den raschen Transport in eine niedrigere Höhe ist in der Regel mit dem Tod zu rechnen.

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Eine so proffessionelle Ausrüstung, wie sie Mike Küng für seinen Höhenrekord (10.100 Meter) verwendet hat, ist für einen Streckenflieger weder praktikabel, noch notwendig.

Praxisrelevante Tipps für Höhenflüge

Wie man sieht ist die Einschränkung der körperlichen und vor allem geistigen Leistungsfähigkeit bei längeren Flügen in Höhen über 3500 m ein sicherheitsrelevantes Problem das vielen Piloten so nicht bewusst ist. Es ist also notwendig sich mit dem Thema schon am Boden theoretisch auseinander zu setzen. In der Luft ist es mit zunehmender Hypoxie und der daraus resultierenden veränderten Wahrnehmung zu spät.

Sicherlich wäre die konsequente Verwendung von Sauerstoff bei Flughöhen über 3500 Metern, wie bei Segelfliegern, ein probates Mittel. Nicht nur gegen Orientierungsverlust und Fehleinschätzungen, sondern auch gegen kalte Füße, Harndrang und Kopfschmerzen. Was in einem Segelflugzeug praktikabel ist, lässt sich jedoch ohne großen Aufwand kaum für Textilflieger in den heimischen Alpen umsetzen. Die Sauerstoffflaschen sind entweder zu schwer und zu groß, oder aber bei Verwendung moderner Leichtmetalllegierungen sehr teuer. Die kleinsten Einheiten aus Aluminium-Fiberglas-Verbundflaschen mit 2,0 Liter Volumen (ca. 230.- €) wiegen zwar nur 1,6 Kilogramm, und lassen sich somit noch im Gurtzeug verstauen. Wegen der geringen abfüllbaren Sauerstoffmenge von nur etwa 400 Litern ist der Sauerstoff bei Dauerbenutzung nach spätestens einer Stunde verbraucht und ein häufiges „Nachtanken“ wird notwendig. Eine Füllung schlägt mit etwa 50,- € zu Buche. Segelflieger verwenden hierzu elektronische Sauerstoffzufuhrsteuergeräte, die abhängig von der Höhe und für jeden Atemzug automatisch die passende Menge Sauerstoff freigeben. Damit kann der Sauerstoffvorrat um ein vielfaches gestreckt werden. Die Sauerstoffzufuhr via Nasensonde ist zwar unkompliziert, aber nicht sehr effektiv. Gesichtmasken sind wegen ihrer Größe wiederum sehr unpraktisch.

Nicht zu unterschätzen ist auch die Gefahr die von reinem Sauerstoff ausgeht. Flaschensauerstoff kann in Kontakt mit Fetten, Ölen (auch z.B. Sonnencreme!!) und anderen sonst eher nicht so leicht entzündlichen Gegenständen ein wahres Feuerwerk entfachen. Man denke in diesem Zusammenhang an so kuriose Vorkommnisse wie das Abfackeln seiner Elektronik, das ein XC-Pilot in seinem „Bauchladen-Cockpit“ durch einen Kurzschluss der mitgeführten Motorradbatterie verursachte. Realistisch betrachtet wird die breite Anwendung von Flaschensauerstoff für Textilflieger auf einige wenige Fluggebiete mit entsprechender Infrastruktur und regelmäßig erreichbaren Basishöhen von weit über 4-500 Metern wie im Owens Valley, in Telluride oder New Mexico beschränkt bleiben.

Die individuelle Leistungsfähigkeit bei Sauerstoffmangel kann durch längeren Aufenthalt (z.B. über einen Monat) in größeren Höhen ab ca. 3 500 Meter gesteigert werden. Hingegen findet bei nur kurzen Phasen von Sauerstoffmangel, z.B. durch häufiges Aufsteigen in größere Höhen, kein wesentlicher Trainingseffekt statt. Wie sehr aber Reaktionen auf Höheneinflüsse von individuellen Besonderheiten abhängen, zeigt u.a. das Beispiel des Südtiroler Bergsteigers Reinhold Messner, der ohne zusätzlichen Sauerstoff den Mount Everest (8 848 m) bestieg. Aber wer von uns ist den schon mal einem Yeti begegnet?

Was uns bleibt ist eine freiwillige Selbstbeschränkung. Unter dem Motto:

"Trau keinem über 4000, vor allem nicht dir selber!"

 

Dr. med. Eckhart Schröter

Dr. med. Torsten Hahne

(2/2004)