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Deutscher Gleitschirm- und Drachenflugverband e.V.

DHV

Hängetrauma

Unter dem Begriff „Hängetrauma“ versteht man einen Kreislaufzusammenbruch aufgrund des freien Hängens in einem Anseilgurt. Die Beingurte schnüren durch das Eigengewicht die Oberschenkel ab. Dies führt zu einer Behinderung des Blutrückstromes aus den Beinen. Wenn die Beine nicht bewegt werden, fällt zusätzlich die so genannte „Muskelpumpe“ aus. Dadurch können große Mengen des Blutkreislaufes in den Beinen „versacken“. Durch diesen Blutvolumenmangel kommt es zu einem Kreislaufschock. Das heißt, lebenswichtige Organe (wie Gehirn, Herz und Lunge) werden nicht mehr ausreichend versorgt. Die Folge ist Bewusstlosigkeit und kann bis zum kompletten Herz-Kreislaufversagen und damit dem Tod führen. Schmerzen durch die Einschnürung verstärken die Kreislaufreaktionen zusätzlich. Entscheidend hängt jedoch die Zeitspanne bis zum Eintreten von Kreislaufsymptomen von Ort und Grad der Einschnürung der Oberschenkel ab.

Hierzu wurden vom Sicherheitsreferat des Deutschen Alpenvereins schon in den 80er Jahren heroische Versuchsreihen an Freiwilligen gestartet.

Bereits nach 3 Minuten freien Hängens in einem Klettergurt in einer aufrechten Position kommt es zu einem Blutdruckabfall um 30%, die Herzauswurfleistung sinkt gar um 36%. 10 bis 15 Minuten später kann eine Bewusstlosigkeit eintreten. Dabei ist der Übergang von den ersten Symptomen wie Schwindel, Übelkeit oder Schweißausbrüchen zum Verlust des Bewusstseins unter Umständen sehr schnell und lässt dann keine Zeit mehr für Reaktionen.

Eine fatale Situation wenn sie beim Fliegen eintritt!

Ein tödlicher Gleitschirmunfall und einige Beinaheunfälle im Sommer 2002 konnten retrospektiv auf dieses Phänomen zurückgeführt werden. Die Gleitschirmpiloten waren dabei nach dem Start nicht in der Lage in ihr Gurtzeug zu gelangen. Ursache waren zumeist falsch eingestellte Beinschlaufen. Die Piloten hingen dann mit vollem Körpergewicht in den Beinschlaufen, welche in den Leisten massiv einschnürten.

Eindrucksvoll ist der Bericht eines Piloten, der noch in der Luft bewusstlos wurde:

»Nach erfolgreichem Start möchte ich mich aus der hängenden Stellung im Gurtzeug in die Sitzposition bringen, was mir aber nach mehreren Versuchen nicht gelingt. Immer wieder klappt mein Sitz nach unten und ich hänge weiterhin in den Beingurten. In dieser unangenehmen Hängestellung entschließe ich mich möglichst rasch zu landen und beginne mit dem Höhenabbau durch Kreise. Ich merke plötzlich wie es mir komisch im Kopf wird. Dieser seltsame Zustand im Kopf verstärkt sich. Ich setze noch einen Funkspruch »... mir wird schlecht« ab, dann werde ich ohnmächtig. Als ich wieder zu Bewusstsein komme, liege ich in meinem Gurtzeug seitlich auf dem Waldboden, während mein Gleitschirm in den Bäumen hängt. Es dauerte einen Moment bis ich realisierte was passiert war, und dass ich nicht geträumt habe. Dann befreite ich mich von meinem Helm und meinem Gurtzeug und bin froh, dass ich noch am Leben bin und nur relativ geringe Verletzungen habe. Wie durch ein Wunder hatte mein Gleitschirm den bewaldeten Hang in ca. 150 m Entfernung zu meiner Flugroute angesteuert.«

Wichtig für Tandempiloten: es gibt auch hier Fallberichte von Passagieren, die nicht in das Gurtzeug gelangt sind und bewusstlos wurden.

Welche Möglichkeiten hat man also noch, wenn man sich trotz aller Bemühungen nicht in den Gurt setzen kann?

1. keine Zeit verlieren und schnellstmöglich landen!

2. um noch einen gelegentlichen Blutrückstrom durch Entlastung zu ermöglichen und die Muskelpumpe zu aktivieren, sollte man seine Beine bewegen (z.B. Vorfußkreisen und wechselseitiges, hohes Anheben der Knie).

3. bei Unwohlsein oder gar Bewusstlosigkeit (nach der Landung) sofort den Rettungsdienst informieren. Die Lagerung sollte bis dahin mit aufrechtem Oberkörper erfolgen.

Am Wichtigsten ist es jedoch, es erst gar nicht so weit kommen zu lassen und mit einem korrekt eingestelltem Gurtzeug zu fliegen. Ob der Gurt passt und korrekt eingestellt ist, muss vor dem Start in einem Simulator geprüft werden.

 

Dr. med. Eckhart Schröter

Verbandsarzt des DHV

(12/2004)