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Deutscher Gleitschirm- und Drachenflugverband e.V.

DHV

Ein weiterer Schritt zu mehr Sicherheit im Gleitschirmsport

Referatsleiter DHV-Technik Hannes Weininger
DHV-Sicherheitsreferent Karl Slezak

Der DHV ist seit 1987 vom Luftfahrt-Bundesamt als Prüfstelle für Gleitschirme und Drachen anerkannt. In den letzten 30 Jahren hat das Technikreferat des DHV 1662 Gleitschirme, 421 Drachen, 478 Gurte und 198 Rettungsgeräte zugelassen. Dabei haben die Mitarbeiter des Technikreferates eine langjährige Erfahrung und ein profundes Fachwissen erworben, das in der Branche einzigartig ist. Als weltweiter Sicherheits-Standard gilt das DHV-Gütesiegel. Die Klassifizierung der Fluggeräte und Lufttüchtigkeitsforderungen werden laufend modifiziert und der Geräteentwicklung angepasst.
Vor 2003 sind 1er und 1-2er Gleitschirme durch für ihre Kategorie zu anspruchvolles Flugverhalten aufgefallen. Daraufhin hat der DHV die Lufttüchtigkeitsforderungen für die Gleitschirmkategorien 1 und 1-2 verschärft. Nach anfänglicher Skepsis haben Piloten und Hersteller die Änderung einhellig begrüßt. Die passive Sicherheit für den Piloten hat sich erhöht, ohne dass der Flugspass in irgendeiner Weise verringert wurde.
Doch die fortwährende dynamische technische Entwicklung macht weitere Anpassungen der Lufttüchtigkeitsforderungen erforderlich.
Aufgrund eines Beschlusses der DHV-Kommission wird der DHV nach einem Hersteller-Hearing für 2008 erneut eine Verschärfung der Lufttüchtigkeitsforderungen (LTF) beim Luftfahrtbundesamt (LBA) beantragen. Zu den Hintergründen haben wir Hannes Weininger vom DHV-Technikreferat und Karl Slezak, den DHV-Sicherheitsreferenten, befragt.

Benedikt Liebermeister: Die letzte Änderung der Lufttüchtigkeitsforderungen (LTF) ist 2003 erfolgt. Warum ist jetzt ein erneutes Update fällig?
Karl Slezak: Die Kriterien für die Testflüge sollen das Verhalten eines Schirmes nach Störungen und im Extremflug möglichst realistisch wiedergeben. Da wissen wir inzwischen wieder ein bisschen mehr als vor ein paar Jahren. Beim DHV laufen die Unfallmeldungen, Erfahrungen der Flugschulen und Sicherheitstrainings, Pilotenberichte über Probleme und natürlich unsere eigenen Erkenntnisse zusammen. Wir sind dadurch in der Lage, die Testflugergebnisse und das tatsächliche Verhalten der Gleitschirme in der Flugpraxis zu beurteilen. Wenn sich hier neue Erkenntnisse ergeben, muss an den Testflugkriterien nachgebessert werden.

Benedikt Liebermeister: Kannst Du Beispiele nennen?
Karl Slezak: Nehmen wir seitliche Einklapper, die Hauptunfallursache. Da haben wir klare Hinweise, dass die „echten“ Unfallklapper in der Praxis häufig einen größeren Teil der Flächentiefe betreffen als die „Gütesiegelklapper“. Die derzeitigen LTF sehen einen Einklapper über 70% der Spannweite mit einer Knicklinie in die Flächentiefe von 45° vor. Unfallvideos und Augenzeugenberichte lassen darauf schließen, dass große Einklapper in der Praxis oft mit einer Knicklinie von 60° oder mehr in die Flächentiefe gehen. Dadurch wird das Verhalten des Schirmes  teils drastisch verschärft.
Hannes Weininger: Wir haben in den letzten Monaten Testreihen mit aktuellen Geräten der Klassen 1 und 1-2 zum Verhalten bei Klappern mit einer Knicklinie von 60° gemacht. Es hat sich gezeigt, dass etwa 70% der getesteten Geräte auch mit dieser Einklappform gut zurechtkommen und nicht deutlich schärfer reagieren. Bei den restlichen 30% mussten wir aber ein teils markant dynamischeres Verhalten feststellen. Ähnlich wie bei der letzten Änderung der LTF 2003 sind auch diesmal die Geräte, die die 1-2-er Klasse nach oben ausreizen, besonders auffällig.
Karl Slezak: Damals gab es ja eine regelrechte Unfallserie mit einer Handvoll hochgezüchteter 1-2er. Das Vorschießen der Kappe nach Einklappern war nach den damaligen LTF nicht begrenzt. Das hat zur Entwicklung von Schirmen geführt, die Sekundenbruchteile nach dem Einklappen 90° vor den Piloten geschossen sind. Was das in Bodennähe bedeutet hat sich leider deutlich in den Unfallzahlen gezeigt. Seit 2003 dürfen 1-er und 1-2er nach Einklappern maximal 45° vorschießen. Nach anfänglichem Widerstand vieler Hersteller gegen diese Neuerung gibt es heute keine ernstzunehmenden Einwände mehr. Die Maßnahme hatte entschieden zu einer bedeutenden Erhöhung der Gerätesicherheit geführt. Jetzt ist der nächste Schritt fällig. Denn natürlich ist erneut ein Teil der 1-2er an die Grenze der Klasse konstruiert worden. Sie zeigen mit dem derzeitigen Gütesiegelklapper gerade noch klassengerechtes Verhalten, aber nicht mehr bei den tieferen, in der Praxis auftretenden Einklappern. Dass es wieder die grenzwertigen Geräte sind, die auch unfallmäßig auffallen, braucht nicht extra erwähnt zu werden.
Hannes Weininger: Unsere Tests haben bestätigt, dass auch mit einer Verschärfung der Testkriterien beim seitlichen Einklappen leistungsstarke 1-2er mit guten Handling die Anforderungen bestehen werden. Deshalb ist dies eine der Änderungen, die wir dem LBA vorschlagen werden: Knicklinie bei Einklappern von 60° für die Klassen 1 und 1-2. Auch für die höheren Gütesiegelkategorien werden den Klassen entsprechende Anpassungen erfolgen.

Benedikt Liebermeister: Was soll sich noch ändern?
Hannes Weininger: Wir werden die Steilspirale strenger bewerten. Bisher haben wir die Sinkgeschwindigkeit nach 2 Umdrehungen gemessen und veröffentlicht. Dies aber nur als Information, die Messungen gingen nicht in die Klassifizierung ein. Das wird nun anders. Schirme der Klasse 1 dürfen künftig nach 2 Umdrehungen ein Sinken von maximal 10 m/s haben, 1-2er 13 m/s.
Karl Slezak: Auch hier dient die Unfallanalyse als Hintergrund. Wenn ein Schirm aggressiv in die Spirale beschleunigt, provoziert dies Fehlverhalten des Piloten, z.B. erschrecktes Lösen der heruntergezogenen Bremse, was ein weiteres Beschleunigen des Schirmes verursachen kann. Wir können ganz punktgenau erkennen, dass die 1er und 1-2er, die bei der Messung nach 2 Umdrehungen Werte von 14 oder 15m/s zeigen, auch in der Praxis Probleme bereiten. Besonders ein 1er darf seinen Piloten hier keinesfalls überfordern. Es gibt ein paar Beispiele wunderbar gelungener Schirme in den Klassen 1 und 1-2, die ein sehr harmonisches und gutmütiges Spiralverhalten zeigen. Das möchten wir mit den neuen LTF in den unteren Klassen zum Standard machen.
Hannes Weininger: Bei den Protektortests werden wir die Schutzfunktion für den Piloten verbessern. Das maximale Energieaufnahmevermögen wird momentan nur direkt unterhalb der Sitzfläche des Gurtzeugs gemessen. Künftig werden wir dies auch im Bereich des unteren Rückens und der Oberschenkel machen. Zudem wollen wir einen Mindestschutz in den seitlichen Bereichen des Gurtzeugs realisieren. Hier denken wir eine Schutzwirkung, wie sie EN-Norm für Motorradprotektoren vorsieht.

Benedikt Liebermeister: Werden die Gurtzeuge dann nicht klobig und schwer?
Hannes Weininger: Wir schätzen das zusätzliche Gewicht durch die neuen Schutzmaßnahmen auf unter 500 g. Das Packmaß wird sicher geringfügig größer, aber die Hersteller werden rasch innovative Lösungen finden. Seit der Einführung der Protektorpflicht ist es den Herstellern gelungen, das Energieaufnahmevermögen der Protektoren zu verdoppeln und dies bei gleichbleibender Bauhöhe.

Benedikt Liebermeister: Warum ist dem DHV der Einsatz neutraler Testpiloten so wichtig? Die Testpiloten der Hersteller könnten doch ihre Testflüge mit Datenloggern und Video aufzeichnen und anschließend die Daten der Prüfstelle geben.
Hannes Weininger: Im Testflugverfahren leitet der Testpilot die Manöver ein und bewertet die anschließende Reaktion des Schirms ohne einzugreifen. Stellt er darüber hinaus ein auffälliges Verhalten fest, ist er verpflichtet, dem Fehlverhalten gezielt nachzugehen. Die Komplexität dieser Bewegungsabläufe kann mit keinem Logger oder etwas ähnlichem aufgezeichnet werden. Bereits 2003 hat der DHV mit verschiedenen Messgeräten zur Unterstützung der Testpiloten experimentiert. Dabei konnten lediglich die Flugbahn des Piloten und die auf ihn wirkenden Kräfte dokumentiert werden. Dies reduziert aber nicht die Einflussmöglichkeit des Testpiloten auf den Testflug und die Testflugauswertung. Auch eine Videoauswertung oder das Beobachten des Testflugs ersetzt nicht den neutralen Testpiloten. Jeder Testpilot ist in der Lage, einen Schirm so zu fliegen und zu testen, dass er, ohne dass es für den Prüfer auf dem Video sichtbar wird, ein bestimmtes vom Piloten beabsichtigtes Verhalten zeigt. Dem neutralen Testpiloten kommt hier die hohe Verantwortung zu, die Testflugmanöver exakt nach Testfluganweisungen und Auswertungsrichtlinien durchzuführen. Um die Einflussnahme eines Piloten so gering wie möglich zu halten, verwendet der DHV seit Jahren das Vieraugenprinzip, d. h. jeder Schirm wird von mindestens zwei neutralen DHV Testpiloten geflogen. Es zählt jeweils das schlechteste Ergebnis. In Zweifelsfällen wird auf DHV-Kosten ein dritter Testpilot eingesetzt.

Benedikt Liebermeister: Man hört immer wieder, dass Hersteller mit den Resultaten der DHV-Tests unzufrieden sind.
Hannes Weininger: Klar, wenn`s mir zum zweiten Mal den Schirm beim Festigkeitstest zerreißt oder bereits der dritte, zum Testflug vorgestellte, Schirm die angestrebte Klassifizierung nicht erhält, wäre ich als Hersteller auch nicht zufrieden. Aber bitte, das ist unser Job. Die Piloten vertrauen darauf, dass Gütesiegel drin ist, wo Gütesiegel draufsteht. Das Verhältnis zu den Herstellern ist gut, aber einen Schmusekurs kann es nicht geben. Ich würde sogar sagen, dass eine allseits zufriedene Herstellerschaft ein schlechtes Zeichen für die Objektivität einer Prüfstelle wäre.

Benedikt Liebermeister: Wie geht es nach Änderung der Bauvorschriften weiter?
Karl Slezak: Die LTF unterliegen einer permanenten Evolution mit dem Ziel, die Fluggeräte immer sicherer zu machen. Die Forderung, es „endlich mal gut sein zu lassen“ ist falsch. Stell Dir vor, man hätte in den 1970er Jahren gesagt, die Autos seien jetzt sicher genug. Dann hätten wir heute wesentlich mehr Unfalltote auf den Straßen im Jahr. Kürzlich habe ich von einem Konstrukteur den Spruch gehört:“ 95% des Sicherheitsproblems beim Gleitschirmfliegen hängen 7 Meter unter der Kappe“.
Das zeigt die einseitige Geisteshaltung, dass die Piloten sich gefälligst den Anforderungen der Fluggeräte anzupassen haben. Tatsächlich muss Beides beachtet werden! Die Kompetenz der Piloten muss gut sein und die Fluggeräte dem steigenden Sicherheitsbedürfnis der Piloten entsprechen.

Rechtsgrundlagen

Derzeit ist in Deutschland nur eine Prüfstelle vom LBA für Gleitschirme und Drachen anerkannt: der DHV.

In Deutschland dürfen nur Gleitschirme oder Drachen geflogen werden, die von einer vom LBA-anerkannten Prüfstelle nach den LBA-Lüfttüchtigkeitsforderungen geprüft wurden.

Das LBA hat in der Vergangenheit seine Lufttüchtigkeitsforderungen auf Vorschlag des DHV rasch an die fortwährende dynamische technische Entwicklung angepasst.

In Österreich ist nach wie vor die Musterzulassung auf Grundlage der gemeinsamen deutsch/österreichischen Lufttüchtigkeitsforderungen Pflicht.

Die EN-Norm hat in der EU keine Rechtsgrundlage, sondern ist lediglich eine privatrechtliche Norm, die weder in Deutschland noch in Österreich ins Luftrecht übernommen wurde.

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