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Deutscher Gleitschirm- und Drachenflugverband e.V.

DHV

        


Verkleidete Gleitschirm-Gurtzeuge sind ein Trend und zur Zeit sehr angesagt. Immer mehr Piloten tauschen ihre Standard-Gurtzeuge gegen die modernen Beinsack-Konstruktionen. Dabei sind, abgesehen von dem für stundenlange Streckenflüge wichtigen Vorteil, den Piloten im Beinsack schön warm zu halten, viele Nachteile aufzuzählen. Sehr hohe Anschaffungskosten, größeres Gewicht und Packmaß, weit komplexere Bedienung der vielen Schnallen und Verschlüsse, dadurch erhöhter Wartungs- und Instandhaltungsaufwand durch diese Komplexität und die Verwendung filigraner Materialien. Behinderung des Piloten beim Start durch den Beinsack und ein deutlich anspruchsvolleres Extremflugverhalten durch die „liegende“ Flugposition und die daraus entstehende größere Hebelwirkung (hohe Twistgefahr). Ein ausführlicher Bericht zu dieser Thematik findet sich im DHV-Info 162, Seite 36, auch als Download unter www.dhv.de.
Das Versprechen geringeren Widerstands erfüllen verkleidete Gurtzeuge nur bei idealer Ausrichtung zur anströmenden Luft. Viel Schatten und wenig Licht bei genauer Betrachtung.
Vielleicht gibt es aber einen heimlichen Grund, warum die Verkaufszahlen dermaßen boomen, dass der Marktführer Advance laut Händlerangaben inzwischen drei Monate Lieferzeit angibt. Ein Pilot (er musste für den Fluglehrer-Assistentenlehrgang wieder ein herkömmliches Gurtzeug verwenden) sagte: “Eingepackt im Beinsack und umhüllt von Frontcockpit und Seitenverkleidung fühl ich mich subjektiv sicherer und geschützter, wenn’s bockt hab ich nicht soviel Angst“.

Das DHV-Referat Sicherheit und Technik hat sich die aktuellen verkleideten Gurtzeuge genauer angeschaut.

Nachdem beim Advance Impress 3 Probleme mit der Kompatibilität von großvolumigen Rettungsschirmen bekannt geworden waren, lag das Haupt-Augenmerk auf diesem Punkt: Retter-Auslösung. Außerdem wollten wir wissen ob, wo vorhanden, die Zusatz-Sicherungen funktionieren, die den Piloten bei unverschlossenen Gurten vor dem Herausfallen schützen sollen. In den letzten beiden Jahren gab es eine Serie tödlicher (und eine Reihe glimpflich verlaufender) Unfälle mit verkleideten Gurtzeugen wegen unverschlossener Gurte (bei eingehängtem Frontcockpit und Beinsack). Dabei hatte sich gezeigt, dass das Schließen von Beinsack und Frontcockpit auch bei unverschlossenen Gurten dem Piloten suggerieren kann, alles wäre ordnungsgemäß eingehängt und verschlossen. Der DHV hat diese Problematik in mehreren Artikeln und Unfallberichten beschrieben (www.dhv.de unter Sicherheit und Technik).
Und schließlich haben wir noch einen Blick auf die Protektoren der Gurtzeuge geworfen.

Bereits im letzten Jahr waren wir bei Thomas Grabners G-Force-Trainer um die Retter-Auslösung bei Gleitschirm-Gurtzeugen unter G-Last zu testen. Ein ausführlicher Bericht dazu, der auch die Funktionsweise des G-Force-Trainers erklärt, ist im DHV-Info 169, Seite 42 erschienen und auch auf der DHV-Website unter Sicherheit und Technik/Sicherheitsberichte zu finden.
Auch diesmal haben wir einen Kleinbus voll Testpersonen und Gurtzeugen gepackt und sind nach Gröbming in die Steiermark gefahren. Alle Versuche auf dem G-Force-Trainer fanden unter einer Last von 4 G statt, das entspricht der Belastung in einem Spiralsturz mit Sinkwerten >20 m/s.

Getestete Gurtzeuge                   Musterprüfnummer
Advance Impress 3                      EAPR-GZ-7411/11 
Woody Valley X-Alps GTO             EAPR-GZ-7438/11
Gin Gliders Genie Lite                   EAPR-GZ-7535/12
Ava Sport Tanto Light                  AIRT GZ_020.2011
Sup Air Skypper                           EAPR-GZ-7543/12
Sup Air Delight                             EAPR-GZ-7444/11

Gin Gliders Genie lite

 

Genie lite/Gin Glider Yeti 35/einfach

Genie lite/Independence Evo Cross 120 /einfach

Genie lite/High Adventure Beamer 2 /einfach (Video nicht verfügbar)

Genie lite/Independence 7 Up /einfach

Sup Air Delight

 

Delight/Gin Gliders Yeti 35/einfach

Delight/Independence Evo Cross/einfach

Delight/High Adventure Beamer 2/einfach (Video nicht verfügbar)

Fazit

                                     

Retterauslösung
Von den sechs getesteten Gurtzeugen zeigte das Advance Impress 3 die deutlichsten Schwächen bei der Rettungsgeräteauslösung. Da sich die Probleme nicht bei allen Versuchen und nur bei den größeren Rettern ergaben, ist es schwierig eine schlüssige Bewertung abzugeben. Vermutlich liegt hier keine Einzelursache vor sondern eine Kombination aus Rettungsgerätegröße, Zugrichtung bei der Auslösung und Gewicht/Sitzposition des Piloten. Den Nutzern dieses Modells kann nur dringend angeraten werden, was Advance deutlich sichtbar auf dem Innencontainer (in Englisch) aufgedruckt hat: Auch wenn der zu kombinierende Retter unterhalb des Volumenlimits des (gurtzeugeigenen) Innencontainers liegt, ist eine genaue Kompatibilitätsprüfung mit mehreren Probeauslösungen im Gurtzeug sitzend vorzunehmen.
Die Modelle Woody Valley X-Alps GTO, Gin Gliders Genie Lite und Ava Sport Tanto light glänzten durch völlig problemlose Retterauslösungen: am Griff ziehen und das Ding flutscht raus, egal ob kleiner oder großer Retter! Die Sup Air Gurtzeuge Skypper und Delight zeigten leichte Schwächen. Das Skypper erforderte bei einem Teil der Retter einen erhöhten Kraftaufwand bei der Auslösung, das Delight löst, wegen der langen Verbindung Griff-Innencontainer, erst mit fast gestrecktem Arm aus.
Bei einem wichtigen Punkt haben viele Hersteller optimiert; die Länge der Verbindung Griff-Innencontainer. Sie ist entscheidend dafür, dass der Retter nach der Auslösung kraftvoll weggeschleudert werden kann. Je kürzer diese Verbindung, desto besser. Das Genie Lite mit 45 cm und das Sup Air Delight mit 52 cm bildeten die Obergrenze, die anderen Gurtzeuge blieben unter 40 cm, teilweise sogar unter 30 cm Länge.
Der Rettergriff sollte auch dann noch gut erreichbar sein, wenn der Pilot, z.B. nach einem massiven seitlichen Klapper, zur Gegenseite abgekippt ist. Diese Voraussetzungen erfüllen nicht alle Gurtzeuge. Teilweise war in dieser Situation der Auslösegriff (abhängig von der Armlänge) gerade noch oder eben gerade nicht mehr erreichbar. Piloten sollten dies bei der Gutzeugwahl beachten, die Situation kann leicht in einer Gurtzeugaufhängung simuliert werden.

Herausfallsicherungen
Zur Klarstellung: Alle getesteten Gurtzeuge haben eine Herausfallsicherung im Bein-Brustgurtsystem integriert. Bei den Modellen mit T-Lock-System besteht automatisch eine zwischen den Beinen geführte Verbindung zu einem Beingurt, wenn der Brustgurt geschlossen wird. Bei den Gurtzeugen mit Get-Up-System sind beide Beingurte geschlossen, wenn die Schließen am Brustgurt zu sind. Aber: Trotz dieser Sicherungen sind in den letzten beiden Jahren mindestens acht Piloten in Europa aus ihren verkleideten Gurtzeugen herausgefallen und zu Tode gestürzt. Der Grund: Sie haben den Beinsack und das Frontcockpit eingehängt, aber das Schließen der Gurte vergessen. Nach zwei tödlichen Unfällen in Deutschland hat der DHV sich an die Hersteller und den Herstellerverband PMA gewandt und angeregt, ein zusätzliches Sicherungssystem zu entwickeln. Es sollte verhindern, dass Beinsack und Frontcockpit geschlossen werden können, ohne eine Herausfallsicherung zu aktivieren.
Drei der getesteten Gurtzeuge haben dieses zusätzliche Sicherheitsfeature, alle in Form von zwei Ringen, die in einem Haken fixiert werden müssen. Advance Impress 3, Woody Valley X-Alps GTO und Gin Genie Lite. Die Sicherungen haben eine doppelte Funktion: Um sie (und damit Beinsack oder Frontcockpit) zu schließen,  muss zwingend ein Beingurt in die Hand genommen werden. Das reduziert die Wahrscheinlichkeit, dass das Schließen derselben vergessen wird. Zudem soll bei Aktivierung der Sicherung der Pilot vor dem Herausfallen gesichert sein. Optisch sind die filigranen Ringe und Bändchen der Sicherungen nicht sehr Vertrauen erweckend. Ihre Festigkeit soll aber weit über dem zulässigen Stargewicht der Gurtzeuge (120 kg) liegen. Von Gin Gliders und Woody Valley ist angekündigt worden, das Ringsystem in Kürze durch eine einfacher zu bedienende kleine T-Lock-Schnalle zu ersetzen.  Leider hat bereits die Praxis gezeigt, dass die von Advance und Gin verwendeten Sicherungen Herausfall-Unfälle nicht gänzlich verhindern können. Im Mai gelang es einem deutschen Piloten, sich in seinem Impress 3 gerade noch so lange zu halten, bis er den Schirm in den Hang steuern und unverletzt landen konnte. Er hatte, soweit bekannt wurde, weder die Gurte noch das Sicherungssystem des Gurtzeugs geschlossen. Das ist vermutlich damit zu erklären, dass bei diesen Gurtmodellen das Sicherungssystem nur mit einer Seite des Beinsacks verbunden ist. Das Frontcockpit und die andere Beinsack-Seite können verschlossen werden, ohne dass das Sicherungssystem dabei aktiviert wird.

Am ausgereiftesten erscheint das Sicherungssystem des Woody Valley X-Alps-GTO. Hier muss der Pilot beim Schließen des Front-Cockpits zwingend ein Sicherungssystem aktivieren, das einen Herausfallschutz herstellt. Woody Valley hat auch die Beingurte des X-Alps GTO auf die ganze Länge rot gefärbt. Dies ist ein wichtiger Punkt, der auch bei den Untersuchungen der tödlichen Herausfall-Unfälle aufgefallen war. Bei geschlossenem Front-Cockpit hat der Pilot selbst keine Chance, seine Beingurte optisch zu kontrollieren. Anderen Piloten am Startplatz jedoch könnte auffallen, dass die Gurte nicht verschlossen sind, wenn diese nicht üblicherweise schwarz wären und im ebenfalls schwarzen Beinsack verschwinden. Die rote Farbe der Beingurte am X-Alps GTO ist auch im dunklen Beinsack sehr gut zu erkennen und kann anderen Piloten sofort die Gefahr signalisieren.

Ava Sport geht einen anderen Weg um Herausfall-Unfälle zu vermeiden. Zwar ist das Schließen von Beinsack und Frontcockpit möglich, das Cockpit lässt sich aber nicht eng am Gurtzeug fixieren, es baumelt vor dem Körper des Piloten. Dadurch wird der Blick auf das Gurtsystem nicht verstellt und der Pilot erhält auch nicht das trügerische Gefühl, sicher im Gurtzeug fixiert zu sein, wie das ein eng anliegendes Front-Cockpit, auch bei vollständig offenem Gurtsystem, vermittelt. Erst wenn der Pilot nach dem Start in den Beinsack steigt, wird das Cockpit durch ein Seilsystem eng an das Gurtzeug gezogen.

Protektorschutz
Viele der getesteten verkleideten Gurtzeuge haben beim Protektorschutz und zwar in Länge und Breite, leider abgespeckt im Vergleich zu herkömmlichen Gurtzeugen. Oft gibt es den vollen Schutz nur noch direkt unter dem Sitzbrett. Da ist er auch zweifellos am Wichtigsten, denn die beste Dämpfung ist bei einem Sturz auf das Gesäß erforderlich, um die Kompressionskräfte auf die Wirbelsäule zu minimieren. Dennoch ist es etwas fragwürdig, wenn sich auf Grund der vermeintlich besseren Aerodynamik, des Designs und der Gewichtsreduzierung der Schutz des Rückens auf ein dünnes Schäumchen reduziert.

Dank an die Flugschulen Chiemsee, Robin Frieß
und Tegernsee, Peter Rummel für die Bereitstellung der Gurte.