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Deutscher Gleitschirm- und Drachenflugverband e.V.

DHV

Fehlerfrei kombiniert - Kompatibilitätsprüfung

Die Kompatibilitätsprüfung könnte bald wesentlich vereinfacht werden. Innen- und Außencontainer sollen eine funktionale Einheit bilden.

Was ist das? Gehört zum Rettungsschirm, fängt mit „I“ an und hört mit „Container“ auf. Klar, der Innencontainer. Seine feste Zugehörigkeit zum Rettungsgerät war über 20 Jahre lang eine unverbrüchliche Beziehung. Diese könnte aber schon bald, zumindest teilweise, der Vergangenheit angehören. Vor einem Jahr hatte Stefan Kurrle vom Flugsportgerätehersteller Independence einen ersten Gurtzeug-Prototypen vorgestellt, bei dem der Rettungsgeräte-Innencontainer Bestandteil des Gurtzeugs ist und nicht, wie bislang, Teil des Rettungsgerätes. Dies geschah im Rahmen eines Meetings der „EN-/LTF-Arbeitsgruppe Rettungsgeräte“ und machte die Anwesenden sehr neugierig, auf das, was da noch folgen würde. Jetzt sind die ersten Gurtzeuge marktreif und bereits LTF-geprüft. Guido Reusch, Leiter der Prüfstelle EAPR, hatte hierbei seine Erfahrungen aus dem Fallschirmsport eingebracht, wo seit langem der Innencontainer zum Gurtzeug gehört, nicht zum Rettungsschirm.

Das eine Problem
Schaut man sich die Lufttüchtigkeitsanweisungen des DHV und die Sicherheitsmitteilungen der Hersteller an, fällt auf, dass ein Großteil davon auf den Problembereich Gurtzeug-Außencontainer/Rettungsschirm entfällt. Und das ist auch logisch. Wenn Dutzende verschiedener Rettungsgeräte mit einer noch größeren Anzahl von Gurtzeugen kombinierbar sein sollen, sind die Probleme vorprogrammiert. Hauptprobleme: Die Innencontainer haben verschiedene Größen und Formen und die Loops für die Einschlaufung des Auslösegriffs sind nicht einheitlich platziert. Das hat in der Vergangenheit immer wieder dazu geführt, dass ein unfachmännisch eingebauter Rettungsschirm nicht aus dem Gurtzeug-Container ausgelöst werden konnte. Entweder weil sich, aufgrund einer zu kurzen Verbindungsleine zum Innencontainer, der Splintverschluss des Außencontainers nicht lösen konnte oder weil sich das Rettungsgerät bei Zug am Griff  irgendwo im Außencontainer verkantet hat. Manchmal musste aber auch der Fachmann passen; besonders bei den relativ engen Tube-Containern waren bestimmte Rettungsgeräte nicht so zu integrieren, dass eine sichere Auslösung gewährleistet war.

Abbildung 1(links): So soll ein optimal kombinierbarer Innencontainer aussehen: Einschlaufungen für den Auslösegriff an der Oberseite und der Schmal- und Breitseite.
Die Bilder 2 und 3 (rechts) zeigen, dass diese Forderung nicht bei allen Rettungsgeräten erfüllt wird. Diese Innencontainer lassen sich nicht mit allen Gurtzeug-Außencontainern kombinieren.

 

Kompatibilitätsprüfung die Erste
Hört sich nicht nur kompliziert an (deshalb spricht man kurz von „K-Prüfung“), ist auch ganz schön aufwändig und muss mit großer Sorgfalt durchgeführt werden (unter https://www.dhv.de/web/Kompatibilitaetsprue.5229.0.html kann man sich eine professionell durchgeführte K-Prüfung auf Video ansehen).
Gemäß einer Lufttüchtigkeitsanweisung aus dem Jahr 1996 muss bei Neukombination von Gurtzeug und Rettungsschirm eine K-Prüfung durch Fachpersonal (Fluglehrer, Hersteller) durchgeführt werden. Dadurch soll die funktionierende Kombination, vor allem die sichere Auslösbarkeit der Rettung aus dem Außencontainer, sichergestellt werden. Leider haben nicht alle Verkäufer von Gleitschirmausrüstung diese Vorschrift immer wirklich ernst genommen und den Einbau der Rettung ins neue Gurtzeug doch dem Kunden überlassen. Die Sache hat zudem einen Pferdefuß: Bei der Erstkombination mag alles fachgerecht durchgeführt worden sein, spätestens nach dem nächsten Neupacken muss der Rettungsschirm aber auch wieder in den Außencontainer und da ist dann oftmals nicht mehr der Fachmann am Werk sondern ein Laie....

Das andere Problem
Im Zuge der jüngsten Forschungen zur Problematik des „Retterfraßes“ (Retter wird nach der Auslösung von der rotierenden Gleitschirmkappe eingefangen und kann nicht öffnen) wurde eine technische Anforderung noch einmal sehr deutlich; um den Rettungsschirm effektiv und so weit wie möglich von der Gleitschirmkappe wegschleudern zu können, muss die Verbindung zwischen Auslösegriff und Innencontainer sehr kurz sein. Je tiefer das Rettungsschirmpäckchen beim Wegschleudern unterhalb des Griffes baumelt, desto uneffektiver wird der Wurf sein. Gurtzeugkonstrukteure mussten die Verbindung Auslösegriff-Innencontainer bisher so lang gestalten, dass eine Einschlaufung möglichst mit allen Rettungsgeräte-Innencontainern machbar war. Das Resultat war dann meist weit entfernt von der Forderung nach einer kürzest möglichen Verbindung Griff-Innencontainer.

 

Das neue System
Stefan Kurrle hatte sich überlegt, dass eine optimale Funktionalität nur dann gegeben sein kann, wenn der Innencontainer genau auf den Gurtzeug-Außencontainer abgestimmt ist. Nicht irgendein Innencontainer wird mit irgendeinem Außencontainer kombiniert sondern Innen- und Außencontainer bilden eine funktionale Einheit, sie sind genau aufeinander zugeschnitten. Damit wäre weitgehend sichergestellt, dass volle Funktionalität auch ohne aufwändige K-Prüfung bestehen würde und das System könnte auf ideale Auslösbarkeit/Freisetzung des Rettungsschirms optimiert werden. Die folgenden Bilder veranschaulichen das neue System.

Abbildung 2: Der Innencontainer mit gepacktem Rettungsschirm und Auslösegriff. Das Ganze ist ziemlich kompakt, die Verbindung Griff-Innencontainer mit unter 25 cm erfreulich kurz. Der Griff kann nicht mehr an der falschen Schlaufe des Innencontainers angebracht werden, weil es hier nichts mehr zu schlaufen gibt. Auch Fehler beim Verschließen der Splinte (es wird nicht darauf geachtet, dass zuerst der Splint den Außencontainer öffnet und erst dann Zug auf den Innencontainer kommt) sind hier nicht mehr möglich.
Abbildung 3: Der Rettungsschirm bei der Auslösung. Gerade bei der hier dargestellten Zugrichtung (ca. im 45° Winkel nach oben), aber auch bei Zug nach vorne oder hinten haben viele herkömmliche Innencontainer oft erheblich höhere Auslösekräfte, weil eine Tendenz des Rettungsschirms zum Verkanten im Außencontainer besteht. Die dreieckige Konstruktion der Verbindung Griff-Innencontainer verteilt die Zugkraft auf die gesamte Schmalseite des Innencontainers. Dieser wird nicht, wie bisher, punktuell belastet, was dazu führen kann, dass sich der Innencontainer verformt und „Ecken“ ausbilden, die sich leicht im Außencontainer verkanten können. Die Fallschirmsportler haben das „Dreieck“ schon jahrelang in ihren Systemen, weil der Auslösevorgang damit einfach besser „flutscht“.
Abbildung 4: Im eingebauten Zustand ist kein Unterschied zu herkömmlichen Systemen zu erkennen. (Abbildungen 2-4: Guido Reusch)

 

Kompatibilitätsprüfung die Zweite
Das neue System könnte eine gute Lösung sein, um die bestehende Problematik der Kompatibilität zwischen Innen- und Außencontainer zu beheben. Der Innencontainer ist Bestandteil des Gurtzeugs und optimal auf die Art des Gurtzeug-Außencontainers abgestimmt. Aber jetzt muss sichergestellt werden, dass der Rettungsschirm Modell X mit dem Innencontainer kompatibel ist, der mit dem Gurtzeug mitgeliefert wird. Und da wird es etwas technisch und auch das Luftrecht hat ein Wörtchen mitzureden.

„Auslitern“
Wenn Fallschirmspringer von „Auslitern“ sprechen, meinen sie nicht die Maß Bier in der Flugplatzkneipe. Mit diesem Begriff ist die Volumensbestimmung eines Reserveschirms und die eines Reserveschirm-Innencontainers gemeint. In einem speziellen Gerät wird das Volumen des Rettungsgerätes einmal ungepackt, einmal gepackt bestimmt. Nehmen wir an, das Volumen beträgt im Schnitt aus beiden Messungen 5.500 cm3 . Beim Rettungsgeräte-Innencontainer wird ebenfalls das Volumen ermittelt (dies geschieht übrigens mit getrockneten Erbsen), das dieser minimal und maximal fassen kann. In unserem Beispiel sind dies minimal 4.600 cm3 und maximal 6.300 cm3. Damit ist der Rettungsschirm für die Verwendung in diesem Innencontainer kompatibel. Mit einem Innencontainer können aber nicht alle Rettungsgeräte abgedeckt werden, weil zwischen einer leichten Bergsteigerrettung und einer Doppelsitzerrettung zuviel Volumenunterschied besteht. Deshalb gibt der Kunde bei der Gurtzeug-Bestellung den Typ seines Rettungsschirms an und bekommt dann einen entsprechenden Innencontainer mitgeliefert. Oder der Hersteller macht es wie Advance. Der Schweizer Produzent, einer der ersten, der ein Gurtzeug mit dazu gehörigem Innencontainer anbietet, hat diesen größenverstellbar, für alle handelsübliche Einsitzer-Rettungsgeräte  konstruiert.

Abbildung 5: Auf dem mit dem Gurtzeug mitgelieferten Innencontainer ist das Volumen ersichtlich, das ein Rettungsschirm aufweisen darf, der hier eingebaut werden kann.

 

Die neuen Lufttüchtigkeitsforderungen (LTF 09) sehen bereits eine solche Volumenbestimmung für Rettungsgeräte und Innencontainer vor. Das bedeutet, dass künftig bei jedem neu geprüften Rettungsgerät das Volumen angegeben ist, ebenso bei den Innencontainern, die mit den Gurtzeugen mitgeliefert werden.

Wie kommt der „alte“ Rettungsschirm in den neuen Innencontainer?
Hier wird es dann doch noch ein wenig knifflig. Der Hersteller des Gurtzeugs samt Innencontainer gibt in der Betriebsanleitung die Technik vor, mit welcher der Rettungsschirm in den Innencontainer gepackt wird. Diese kann erheblich von der Technik abweichen, mit der die Rettung in ihrem serienmäßigen Innencontainer gepackt war. War der Original-Innencontainer beispielsweise ein Pocket (Taschen)-Container, ist die Rettung üblicherweise in „stehenden“, relativ schmalen S-Schlägen eingelegt. Um diese Rettung in einen 4-Blatt-Container zu integrieren, wie z.B. der von Advance, müssen die S-Schläge „liegend“ und deutlich breiter ausfallen. Auch die Art, wie die Fangleinen gebündelt und fixiert werden, wird bei verschiedenen Containertypen voneinander anweichen. Dieses Arbeit des Umpackens, von einem Innencontainer in einen anderen, erfordert jedenfalls Erfahrung und sollte von Fachpersonal durchgeführt werden.

Fakt ist, dass alle LTF- geprüften Rettungsgeräte nur zusammen mit ihrem Original-Innencontainer mustergeprüft sind. Dies gilt auch für die nach EN 12491 geprüften Retter.
Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich das Öffnungsverhalten mit einem anderen Innencontainer verändert. „Nein“! sagen Guido Reusch von der EAPR und Stefan Kurrle von Independence. Bei den Tests der EAPR mit verschiedensten Innencontainertypen hätten sich keine messbaren Unterschiede bei der Auslösezeit ergeben. Die Erfahrungen aus dem Fallschirmsport zeigten auch, dass die Kompatibilität vieler verschiedener Reserven mit einem Innencontainer, sofern die Bauteile volumenmäßig zusammen passen, kein Problem darstellt.

Trotzdem mag es mancher Rettungsgerätehersteller kritisch sehen, wenn sein Produkt in einen gänzlich anderen Innencontainer gepackt wird. Er hat sich schließlich bei der Konstruktion seines eigenen Innencontainers etwas gedacht. Zudem kann sich ein Rettungsgerätehersteller darauf berufen, dass sein Retter zusammen mit einem anderen als den Original- Innencontainer nicht mustergeprüft ist und damit so nicht verwendet werden darf.
Nach Auffassung des Luftfahrt-Bundesamtes (LBA) hat stets der Rettungsgerätehersteller die Verantwortung für den Innencontainer, da dieser Bestandteil des Rettungsgerätes ist. Der Rettungsgerätehersteller muss die Kombination Retter-Innencontainer für lufttüchtig erklären. Dies kann im einfachsten Fall per „kleiner Änderung“ nach LuftBO erfolgen (Änderung, die keine Auswirkung auf die Lufttüchtigkeit hat). Der Rettungsgerätehersteller kann dazu aber auch ergänzende Prüfungen nach den Lufttüchtigkeitsforderungen verlangen.
Mit dem LBA wurde vereinbart, dass Prüfstellen und Hersteller (PMA) in Kürze einen Serienversuch über das Öffnungsverhalten verschiedener Rettungsgeräte mit unterschiedlichen Innencontainern vornehmen. Sollte sich hierbei herausstellen, dass die Art des Innencontainers für das Öffnungsverhalten des Retters keine signifikante Rolle spielt (sofern beide volumenmäßig kompatibel sind), könnte eine weitere Vereinfachung bei der Kombination Retter-Innencontainer ins Auge gefasst werden.

Karl Slezak
DHV-Ausbildung/Sicherheit