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Deutscher Gleitschirm- und Drachenflugverband e.V.

DHV
17.04.2011

Offene Beingurte-wieder ein tödlicher Unfall

Erneut ist es zu einem tödlichen Unfall wegen unverschlossener Beingurte gekommen (Unfallbericht hier), aktuelle Warnung des DHV hier. Auch diesmal hat der Pilot ein leistungsoptimiertes Streckenfliegergurtzeug mit Beinsack und Frontcockpit verwendet. Im Juli 2010 war ein junger Wettbewerbspilot am Tegelberg aus dem gleichen Grund tödlich verunglückt (Unfallbericht hier). Aus dem Ausland sind mindestens zwei weitere Todesfälle gemeldet worden. Neben diesen tödlichen Unfällen ist inzwischen eine Vielzahl von Vorfällen bekannt geworden, die glimpflich endeten. Entweder weil der Pilot im Startlauf bemerkt hat, dass der Zug des Schirms das Gurtzeug nach oben zieht oder weil er sich unmittelbar nach dem Abheben durch schnelle Reaktion retten konnte, wie hier, dokumentiert auf einem Youtube-Video.

Der DHV hat bereits nach dem ersten tödlichen Unfall 2010 den Herstellerverband PMA aufgefordert, an einer technischen Lösung zu arbeiten. Fatal an den Beinsack/Frontcockpit-Konstruktionen sind nämlich folgende Umstände:
1. Sind Frontcockpit und Beinsack geschlossen, ist der Blick des Piloten auf das Gurtsystem und damit eine optische Kontrolle nur noch schlecht möglich.
2. Durch den kompakt sitzenden Beinsack und das Frontcockpit, hat der Pilot das Gefühl, sicher im Gurtzeug fixiert zu sein, auch dann, wenn weder Brust- noch Beingurte geschlossen sind.
3. Zudem werden die offenen Beingurte von Außenstehenden nicht bemerkt, weil sie nicht herunterbaumeln, wie bei herkömmlichen Gurtzeugen sondern in der Höhlung des Beinsacks unsichtbar sind.
4. Beim Startlauf würde ein herkömmliches Gurtzeug mit offenen Bein-/Brustgurten sofort nach oben weggezogen werden (siehe Youtube-Video). Nicht so mit Frontcockpit und Beinsack. Diese fixieren das Gurtzeug am Piloten, verhindern ein Wegziehen nach oben und machen einen Start ohne weiteres möglich.

Ein ordnungsgemäßer Startcheck wird in jedem Fall einen Start mit offenen Gurten verhindern. Aber Menschen machen Fehler. Gurtzeuge mit Beinsack und Frontcockpit (gilt eingeschränkt auch für Gurtzeuge mit Rettungsgeräte-Frontcontainer) begünstigen Fehler beim Startcheck wegen der oben genannten vier Faktoren, die bei herkömmlichen Gurtzeuge nicht vorhanden sind.

Alle Gurtzeuge mit Beinsack und Frontcockpit verfügen über Herausfallsicherungen. D.h. mit dem Schließen des Brustgurts wird eine Sicherung aktiv, die den Piloten vor dem Herausfallen aus dem Gurtzeug schützt. Die Unfälle zeigen jedoch, dass diese Sicherungen bei Beinsack-/Frontcockpit-Gurtzeugen nicht ausreichend sind, weil offene Gurte optisch und gefühlsmäßig vom Piloten nicht oder nur erschwert bemerkt werden.

Um einen Sicherheitsstandard wie bei herkömmlichen Gurtzeugen zu erreichen, müsste konstruktiv sichergestellt werden, dass Beinsack und Frontcockpit erst nach oder nur zusammen mit der Herausfallsicherung geschlossen werden können.
Der DHV wird sich, in Zusammenarbeit mit den LBA-anerkannten Prüfstellen, dem Herstellerverband PMA und dem Luftfahrt-Bundesamt für eine bessere Berücksichtigung der Problematik in den Prüfvorschriften einsetzen. Zudem wäre ein Sicherheits-Update für bereits auf dem Markt, bzw. im Betrieb befindliche Gurtzeuge dringend erforderlich.

Eine Bemerkung zum Schluss:
Im DHV-Info 162 haben die Testpiloten des DHV das Flugverhalten von Gleitschirmen mit verkleideten Gurtzeugen geprüft. Ergebnis: Besonders wegen der erhöhten Twistgefahr bei Einklappern sind Gurtzeuge dieser Bauart nur für besonders versierte Piloten empfehlenswert. Die Weltklasse-Wettbewerbspiloten Thorsten Siegel und Uli Prinz, sie wurden für diesen Bericht zum Thema interviewt, führten als Vorteile eine Leistungssteigerung von 0,15 ! Gleitzahlen und warme Beine bei 6-8-stündigen Streckenflügen an. Als Nachteile dagegen: „Ein Vielfaches Mehr an Schnallen, die geschlossen werden müssen, aber auch vergessen werden können, und ein deutlich verschlechtertes Starthandling“. Und als Resümee: „Viele Piloten die damit rumfliegen, tun es wohl der Optik wegen, für den normalen Gebrauch sind diese Gurtzeuge nicht zu empfehlen“.

Karl Slezak
DHV-Referat Sicherheit und Technik