X
Deutscher Gleitschirm- und Drachenflugverband e.V.

DHV

Eingedreht abheben - eine Fehlerquelle beim Rückwärtsstart

Im April ereignete sich in der Schweiz ein tödlicher Gleitschirmunfall der viel Aufsehen erregte, weil der Verunglückte ein bekannter und engagierter Lokalpolitiker war.

Nach dem Rückwärtsaufziehen der Kappe hatte sich der Pilot zur falschen Seite hin ausgedreht und war so, begünstigt durch stärkeren Wind, abgehoben. 
Der Gleitschirmflieger versuchte, in der eingedrehten Position vom Hang
wegzusteuern, wegen der über kreuz laufenden Steuerleinen muss er aber versehentlich die falsche Richtungskorrektur durchgeführt haben. Diese führte dazu, dass der Schirm mit Rückenwind direkt auf den felsdurchsetzten Hang zuflog. Der Aufschlag war so heftig, dass sich der Pilot dabei tödliche Verletzungen zuzog.

Auch von deutschen Piloten werden jedes Jahr mehrere Unfälle mit der gleichen Ursache bekannt. Dabei fällt sehr deutlich die Problematik des Steuerns in die falsche Richtung auf, wenn der Pilot eingedreht und mit dem Gesicht entgegen der Flugrichtung unter seinem Gleitschirm hängt.

Zunächst soll aber einmal genauer betrachtet werden, wie es dazu kommen kann, dass ein Pilot verkehrt herum, bzw. eingedreht abhebt.

Abheben vor dem Ausdrehen
Die Einwirkung einer kräftige Böe, ein kurzes Überschießen des Schirmes beim Rückwärtsaufziehen oder der Start in sehr steilem Gelände können die Ursache dafür sein, dass der Pilot abhebt, bevor er die Gelegenheit hatte sich in Flugrichtung auszudrehen.

Ausdrehen in die falsche Richtung
Fast alle Piloten haben sich für das Umdrehen in Startrichtung nach dem Rückwärtsaufziehen der Kappe eine Drehrichtung festgelegt. Das Umdrehen des Piloten zum Schirm nach dem Einhängen der Tragegurte erfolgt stets in die gleiche Richtung. Damit sollte eigentlich gewährleistet sein, dass beim Ausdrehen des Piloten nach dem Aufziehen der Kappe in die gewohnte Richtung Tragegurte und Bremsleinen frei und unverdreht sind.

Bei der Analyse der Unfälle hat sich eine Gemeinsamkeit gezeigt, die das Ausdrehen der Piloten in die falsche Richtung erklärt.

Vorausgegangen war jeweils das Rückwärtsaufziehen der Kappe, ein korrektes Ausdrehen in Startrichtung und anschließend, meist noch vor Beginn des eigentlichen Starts, ein Startabbruch, vielleicht weil der Pilot die Windbedingungen noch nicht als optimal empfand, weil die Kappe zur Seite ausbrach oder aus anderen Gründen. Der Startabbruch erfolgte jeweils so, dass der Pilot sich, mit noch aufgezogenem Schirm um 180 ° Grad zurückdrehte (in die gleiche Position wie beim Aufziehen), um die Kappe dann kontrolliert abzulegen. In den vorliegenden Fällen war jedoch das Umdrehen zum Schirm beim Startabbruch in die entgegengesetzte Richtung erfolgt, als der Pilot dies gewohntermaßen für das Rückwärtsaufziehen zu tun pflegte.
Es folgt, erneutes Aufziehen der Kappe, vielleicht eine kurze Korrektur mit den Steuerleinen und anschließend der Versuch sich in die gewohnte, vermeintlich richtige Richtung zum Start auszudrehen. Dies ist aber nun die Richtung, nach der sich der Pilot bei seinem vorangegangenen Startabbruch zum Schirm hin zurückgedreht hat. Statt ausdrehen erfolgt ein weiteres Eindrehen des Piloten in die Tragegurte.

In 9 von 10 Fällen erkennen die Piloten bereits im Ansatz, beim Beginn des Umdrehens in Startrichtung, ihren Fehler und können ein Abheben verhindern. Manchmal erfolgt das Abheben aber bereits, freiwillig oder unfreiwillig, unmittelbar nach dem - vermeintlich richtigem- Ausdrehen des Piloten in die Startrichtung. Z.B.:
- Bei Schirmes, die bei etwas schwächerem Wind zum nach hinten kippen neigen. Hier läuft der Pilot noch einige Schritte rückwärts mit unter Zug gehaltenen A-Gurten mit, um sich dann sehr rasch auszudrehen und unmittelbar abzuheben.
- Bei sehr kräftigem Wind und steilem Startgelände. In dieser Situation geht das Ausdrehen des Piloten in die Startrichtung oft direkt ins Abheben über.

Egal wie es letztlich dazu kommt, der Pilot befindet, mit dem Rücken zur Flugrichtung und in der Regel über Kreuz laufenden Steuerleinen in der Luft.

 

 

 

Media Player  
  MODEM / ISDNDSL
   
Real Player

 MODEM / ISDNDSL

Videobeispiel: Archiv Karl Slezak

Wie ist falsches Ausdrehen zu vermeiden ?
Die Strategie, sich ausschließlich eine Ein- und Ausdrehrichtung anzutrainieren stößt, wie viele vermeintliche Patentrezepte, in Ausnahmesituationen- siehe oben- an ihre Grenzen. Besser ist es, sich vor dem Aufziehen des Schirmes noch einmal zu vergewissern in welche Richtung das Ausdrehen erfolgen muss. Das ist ganz einfach. Ein Blick auf die Überkreuzungsrichtung der Tragegurte gibt Gewissheit.
Die Seite, an welcher der oben liegende Tragegurt mit dem Karabiner am Gurtzeug verbunden ist, ist die Ausdrehrichtung !

 

Oben liegender Tragegurt links am Gurtzeug befestigt- Ausdrehen nach links
Oben liegender Tragegurt rechts am Gurtzeug befestigt - Ausdrehen nach rechts

Erst nachdem die Ausdrehrichtung festgestellt worden ist, sollte sich der Pilot zum Aufziehen des Schirmes entscheiden. Stellt der Pilot bei dieser Kontrolle fest, dass das Ausdrehen nach der anderen als seiner gewohnten Richtung erfolgen muss, ist es sinnvoll, sich noch einmal neu auf das Rückwärtsaufziehen vorzubereiten. In diesem Fall also Steuerleinen befestigen, und sich um 360 ° Grad in die andere Richtung drehen.

Bei dieser Vorgehensweise wird die blinde Routine durch einen reellen Check ersetzt. Ein Ausdrehen zur falschen Seite kann nicht mehr erfolgen.

Was tun wenn es doch passiert ?
Mit dem Rücken zur Flugrichtung abgehoben (worden), vielleicht mitten hinein in den Aufwind, was ist jetzt zu tun ?
Erfolgt das Abheben im Geradeausflug, twistet sich der Pilot meist selbständig aus, weil die um 180 ° Grad verdrehten Tragegurte eine seitliche Hebelwirkung, zurück in ihre unverdrehte Stellung ausüben.
Kritisch kann es werden, wenn der Schirm eine Kurve beginnt. Erfolgt die Drehung gegen die erforderliche Ausdrehrichtung, kann ein selbständiges Ausdrehen nicht erfolgen. Der Pilot muss eingreifen und die Drehung stoppen!
Am sichersten durch beidseitigen Griff an die hinteren Tragegurte und Steuern mit denselben. Die Steuerung erfolgt dabei analog zur Drehung, nicht mit der jeweiligen Gegenseite, wie es mit den überkreuzten Steuerleinen erforderlich wäre. Letzteres hat sich in einer solchen Stresssituation als gefährliche Fehlerquelle erwiesen, weil die Piloten dabei instinktiv zwar mit der "richtigen" Hand steuern, aber dabei eben die Gegenseite am Schirm anbremsen und damit die Kurve zusätzlich beschleunigen.
Hintere Tragegurte also und dann gegen die Kurvenrichtung steuern bis der Schirm wieder im Geradeausflug ist.
Das anschließende Austwisten kann durch ein Anziehen der Beine und Körperdrehung in Ausdrehrichtung unterstützt werden. Nur in Extremfällen wird ein aktives Ausdrehen der Tragegurte mit den Händen erforderlich sein.


Karl Slezak
Sicherheitsreferent

Den Schirm mit den hinteren Tragegurten unter Kontrolle bringen - hier demonstriert von Mike Küng- und anschließend ausdrehen.