X
Deutscher Gleitschirm- und Drachenflugverband e.V.

DHV

Fakten zum Thema CEN und DHV-Gütesiegel

Die Rechtslage in Europa
Gleitschirme und Flugdrachen sind von den gesetzlichen Europäischen Anforderungen an die Lufttüchtigkeit von Fluggeräten und Flugausrüstung ausgenommen. Somit gelten für diese Fluggeräte in den europäischen Staaten weiterhin die nationalen Vorschriften, welche in den einzelnen Ländern stark differieren. So sind beispielsweise in den Ländern Deutschland und Österreich gesetzliche Lufttüchtigkeitsforderungen einzuhalten während es in Frankreich keine gesetzliche Anforderungen gibt.

Welche rechtliche Bedeutung haben DIN- oder CEN-Normen?
Wenn die Einhaltung von DIN oder CEN-Normen gesetzlich gefordert wird, erhalten die Normen rechtliche Bedeutung, weil sie Ausführungsbestimmungen eines Gesetzes sind. Man spricht vom geregelten Normen-Bereich.

Fehlt eine gesetzliche Grundlage spricht man vom ungeregelten Normen-Bereich, hier gilt das Prinzip der Freiwilligkeit, niemand muss die Norm beachten. Aber die Einhaltung von freiwilligen Normen kann dem Hersteller bei der Abwehr von etwaigen Schadensersatzklagen helfen, wenn es keine staatliche Mindestanforderungen an das Produkt gibt, die im Streitfall herangezogen werden können.

Wer ist der Normengeber?
Erarbeitet werden Normen von den „interessierten Kreisen“. Das ist die der Regel die Industrie, manchmal unter Einbeziehung von Verbänden, unter dem Dach des nationalen Normeninstituts (in Deutschland DIN) oder dem des Europäischen Normeninstituts, European Committee for Standardization (CEN). Die Normen die von der CEN herausgegeben werden heißen EN Normen.

Die Gleitschirm-EN-Normen sind von einigen Gleitschirm-Herstellern zusammen mit einigen nationalen Fachverbänden erarbeitet worden. Der DHV hat mitgewirkt, konnte aber in wesentlichen Fragen keine Mehrheit finden, zum Beispiel dafür, die EN-Norm im geregelten Bereich anzusiedeln.

Die Gleitschirm-EN-Normen sind keine Vorschrift
Normalerweise erlässt der nationale Gesetzgeber oder der europäische Gesetzgeber für sicherheitsrelevante Bereiche Vorschriften. Es sind dann entweder von Behörden erarbeitete Vorschriften zu erfüllen oder es wird die Beachtung von Normen vorgeschrieben. So gibt es beispielsweise europäische Vorschriften für Spielzeug, Maschinen oder persönliche Schutzausrüstung, die auf CEN-Normen verweisen. Solche Produkte dürfen nur dann in den Verkauf gebracht werden, wenn der Hersteller oder Händler die gesetzlich vorgeschriebenen Konformitäts-Bewertungsverfahren eingehalten hat und es gilt die CE-Kennzeichnungspflicht. Dass in diesen Bereichen nur Produkte mit CE-Kennzeichen auf den Markt kommen, wird vom Gewerbeaufsichtsamt sporadisch kontrolliert. Beispielsweise dürfen Flugsporthelme, weil sie von der gesetzlichen Europäischen Vorschrift für Persönliche Schutzausrüstung (PSA) erfasst sind, nur in Verkauf gebracht werden, wenn das CE-Kennzeichen angebracht ist. Voraussetzung dafür ist die EU-Baumusterprüfung des Helms durch ein gesetzlich zugelassenes Prüfinstitut entsprechend der EN-Norm für Flugsporthelme. Gleiches gilt für einige Produkte der Bergsportausrüstung.

Für Gleitschirme hat der Europäische Gesetzgeber keinerlei Vorschriften erlassen. Die Anwendung der Gleitschirm-Normen ist freiwillig. Wer die Konformität eines Gleitschirms mit der Norm bestätigen darf, ist nicht geregelt. Der französische Verband vertritt die Auffassung, dass man dem Hersteller die Hersteller-Selbstzertifizierung, wie sie im ungeregelten Bereich üblich ist, nicht verwehren kann. Jedenfalls ist ein „zugelassenes Prüfinstitut“ gesetzlich nicht erforderlich. Es gibt kein geschütztes Prüfzeichen, die CE-Kennzeichnung ist nicht erlaubt. Und niemand kontrolliert, ob ein Produkt die Norm tatsächlich erfüllt, wenn dies in Werbeaussagen behauptet wird.

Es ist kurios: In der Europäischen „Normen-Hierarchie“ sind die Flugsporthelme höher angesiedelt als die Gleitschirme! 

Die rechtliche Situation in Deutschland

Die EN-Normen für Gleitschirme haben in Deutschland keine rechtliche Bedeutung. Das deutsche Luftrecht schreibt die Musterprüfung durch eine LBA-anerkannte Prüfstelle entsprechend der LBA-Lufttüchtigkeitsforderungen vor. Der DHV ist LBA-anerkannte Prüfstelle und wird vom LBA überwacht.

Der DHV gestattet dem Hersteller die Kennzeichnung von DHV-geprüften Produkten mit den DHV-Gütesiegel nur dann, wenn er, über die gesetzlichen Anforderungen hinaus, zusätzliche DHV-Sicherheitsbestimmungen einhält. Dazu zählen Qualitätsforderungen an den Herstellungsbetrieb. Der DHV kontrolliert außerdem, ob die am Markt befindlichen Fluggeräte mit DHV-Gütesiegel dem geprüften Muster entsprechen.

Nachteile für ausländische Gäste bringt die deutsche Rechtslage nicht, weil Gastflieger in Deutschland die Flugausrüstung verwenden dürfen, die im Heimatland erlaubt ist.

Bestehen inhaltlichen Unterschiede zwischen den EN-Normen für Gleitschirme und den LBA-Lufttüchtigkeitsforderungen?
Die LBA-Lufttüchtigkeitsforderungen sind in einigen Bereichen strenger als die CEN-Normen. Dies hat dazu beigetragen, dass die CEN-Normen, die seit einigen Jahren auf dem Markt sind, auch im Ausland kaum beachtet wurden. Die meisten Hersteller ließen weiterhin ihre Produkte beim DHV entsprechend der LBA-Lufttüchtigkeitsforderungen testen.

Beim EN-Schocktest (EN 926-1) genügt es beispielsweise, wenn der Gleitschirm ausgebreitet am Boden liegt und dann mit 60 km/h angezogen wird. Bei der DHV-Prüfung wird er senkrecht voll ausgebreitet in der Luft gehalten, dann wird mit 100 km/h angezogen. Dies bewirkt eine weitaus härtere Schockbelastung.

Auch bei der DHV-Belastungsprüfung für Rettungsgeräte gibt es Unterschiede. So wird bei der DHV-Prüfung das selbe Muster 3 mal belastet, während der CEN-Test (EN 12491) nur je einen Test an zwei baugleichen Muster verlangt. Auf den high-speed-opening Test (freier Fall) des DHV wird bei CEN ganz verzichtet, lediglich die Öffnung bei 28,8 km/h wird hier getestet.

Der DHV-Gurtzeugtest ist bei allen Belastungsgrenzwerten deutlich härter. Im Gegensatz zu CEN (EN 1651) wird vom DHV die Verbindung Gurtzeug/Rettungsgerät in der Kopfüberposition auch getestet. (Der in Südamerika tödlich verunglückte schwedische Pilot, dessen Verbindung nach erfolgter Rettungsöffnung in Kopfüber-Position riss, hatte leider kein DHV-geprüftes Gurtzeug.)

Der DHV hat schon vor sieben Jahren Prüfungen für Protektoren eingeführt, bei der CEN gibt es dafür keine Norm.

Um der Gefahr von Karabinerbrüchen entgegenzuwirken, die aufgrund des Schnapperspiels durch die Schwingungsbelastung im Flug entsteht, hat der DHV nun eine Norm für Karabiner erarbeitet. CEN sieht nichts dergleichen vor.

Nur die neue EN-Norm für Gleitschirmflugtests entspricht derzeit in den wesentlichen Eckpunkten den bereits seit drei Jahren gültigen LBA-Lufttüchtigkeitsforderungen.

Wie schnell können Normen an den technischen Fortschritt angepasst werden?
Die Erarbeitung und Weiterentwicklung von CEN-Normen hat sich als enorm langwierig erwiesen. Wobei es eine zusätzliche Schwierigkeit darstellt, die erforderlichen Abstimmungsmehrheiten der „interessierten Kreise“ zustande zu bringen.

Das LBA hingegen hat in der Vergangenheit seine Lufttüchtigkeitsforderungen auf Vorschlag des DHV rasch an die fortwährende dynamische technische Entwicklung angepasst. Leinenserienrisse wurden durch die Einführung des Leinenknicktests beantwortet. Rückenverletzungen sind seit Einführung der Rückenprotektorentests stark zurück gegangen. CEN und sein Vorläufer AFNOR haben bis heute nicht entsprechend reagiert.

Die Verschärfung der LBA-Lufttüchtigkeitsforderungen für die Gleitschirm-Kategorien 1 und 1-2 hat ein positives Echo gefunden. Weitere Fortentwicklungen der Prüfvorschriften infolge der technische Entwicklung werden auch künftig erforderlich sein.

Warum ist die Neutralität der Testpiloten so wichtig?
Auch bei standardisierten Testmanövern kann der Testpilot das Ergebnis entscheidend beeinflussen, ohne dass dies in der Videodokumentation erkennbar ist.
Die DHV-Testpiloten machen zudem in begründeten Einzelfällen von ihrem durch die Lufttüchtigkeitsforderungen erlaubten Recht Gebrauch Sicherheitsmängel aufzudecken. Zitat aus den Lufttüchtigkeitsforderungen:
„3.3.7 Bei jeder Form des Einklappens des Gleitsegels muss zu
erwarten sein, dass
a) durch das Einklappen kein irreversibler Flugzustand auftritt,
b) im eingeklappten Zustand durch Steuerleinenzug geradeaus
gehalten werden kann,
c) ohne Zutun des Piloten oder nur durch Steuerleinenzug des
Piloten das Einklappen beenden wird.“
Es kommt trotz des hohen Entwicklungsaufwands, den die Konstrukteure betreiben, immer wieder mal zu negativen Überraschungen. Im Jahr 2005 erfüllten rund 10% der vorgestellten Muster die DHV-Anforderungen nicht.

Besteht bei konkurrierende Prüfstellen die Gefahr, dass diese sich gegenseitig in der Prüfgenauigkeit unterbieten?
Beim DHV-Gütesiegel besteht die Gefahr nicht, weil es nur eine Prüfstelle gibt. Kommen hier die zwei Testpiloten zu unterschiedlichen Ergebnissen wird ein dritter Testpilot eingeschaltet. Die Prüfstelle setzt im Zweifel das strengere Urteil als Ergebnis fest.

Im ungeregelten Bereich, in dem die Gleitschirm-Normen angesiedelt sind, werden weder etwaige Prüfstellen noch die Selbstzertifizierungen der Hersteller überwacht. Der Vorschlag, die EHPU als europäische Überwachungsstelle vorzusehen, fand keine Mehrheit der EHPU-Mitglieder.

Aber auch im geregelten Bereich der Normenwelt scheint es mit der Überwachung nicht so recht zu funktionieren. Prüfingenieure berichten, dass es sogar dort zwischen den einzelnen staatlich zugelassenen Prüfstellen in den verschiedenen Ländern zu erheblichen Unterschieden in der Prüfqualität kommt.

Blick über den Tellerrand
Bei Computerbildschirmen hat das TCO-Zeichen den größten Stellenwert. Das CE-Zeichen spielt, obwohl gesetzlich vorgeschrieben, keine werbewirksame Rolle. Es bietet zu wenig Verbraucherschutz. Das TCO-Zeichen wird von einem norwegischen Verband vergeben. Seine Prüfkriterien (Bildschirmflimmern, Strahlung) sind strenger und sie werden rasch an die technische Entwicklung angepasst. Somit schützt das TCO-Prüfsystem die Gesundheit weitaus besser. Der norwegische Verband hat auch durch Kontrollen Vertrauen geschaffen. Hingegen hat sich bei Tests von Computer-Bild gezeigt, dass bei den meisten der Bildschirmen mit CE-Zeichen die gesetzlich vorgeschriebene Norm gar nicht erfüllt war.

Ein anderes Beispiel zeigt sich bei der Bergsportausrüstung. Hier spielt das Prüfzeichen des Verbandes UIAA eine wichtigere Rolle als das CE-Zeichen. Das Prüfzeichen des Verbandes UIAA findet weltweit Anerkennung, obwohl die Normen des UIAA nicht gesetzlich verpflichtend sind. Dipl. Ingenieur Volker Kron, Bergsportsachverständiger des TÜV schreibt: „Heute hat die UIAA ihre Funktion vor allem als Kontrollinstanz, bzw. als Zugpferd, da sie Änderungen wesentlich rascher umsetzen können als die CEN.“

Die Zukunft des DHV Gütesiegels
Der DHV orientiert sich an den Wünschen seiner Mitglieder. Auch die letzte repräsentative Mitgliederbefragung hatte gezeigt: Die Arbeit des DHV für die Flugsicherheit ist ein wesentlicher Wunsch und zentraler Auftrag an den DHV. Es gilt auch weiterhin der Beschluss der DHV-Jahrestagung 1999:
„Das heutige System der verbindlichen Musterzulassung der Gleitsegel und Hängegleiter gewährleistet die neutrale und qualitativ hochwertige Musterprüfung der Geräte nach einheitlichen, am Sicherheitsanspruch der Piloten ausgerichteten Anforderung. Die Musterzulassung soll nur wegfallen, wenn ein gleichwertiges, möglichst internationales System an ihre Stelle tritt.“

Da ein solches gleichwertiges internationales System nicht in Sicht ist, wird das DHV-Technikreferat seine Gütesiegel-Arbeit auch in Zukunft weiterführen.

CEN bietet dem DHV keinen gangbaren Weg, denn: Um korrekte Informationen über die technische Sicherheit der Flugausrüstung gewährleisten zu können, muss Klarheit herrschen. Beim CEN-System aber soll der Pilot selbst herausfinden, ob bei einem Produkt Selbstzertifizierung vorliegt oder ob es von einer Teststelle getestet wurde und ob diese dann auch wirklich korrekt getestet hat. Denn konkurrierende Teststellen werden teils guten, teils schlechteren Ruf haben und darüber wird es verwirrenden Streit geben, weil es keine neutrale Überwachungsinstanz gibt. Schließlich kann sich der Pilot bei CEN nicht darauf verlassen, dass das Produkt tatsächlich dem geprüften Muster entspricht.